Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe – Herausforderungen und Chancen für Organisationsentwicklung und Pädagogik

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Inhalt Inhalt Seite 03 → Grußwort Dr. Kornelius Knapp Seite 05 → Projektbeschreibung Seite 07 → Ziel der Handreichung Seite 08 → Digitalisierung – eine Begriffsbestimmung Seite 10 → Haltung und Prinzipien: zwischen Schutz und Befähigung Seite 13 → Digitalisierung als Change-Management-Prozess Seite 16 → Digitalisierung auf institutioneller Ebene Seite 19 → Arbeit mit Adressat:innen Seite 22 → Fazit Seite 23 → Quellen / Literatur Seite 24 → Impressum

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe 2022 „Mit dieser Handreichung hat sich die Diakonie Württemberg und ihre Mitgliedseinrichtungen auf einen partizipativen Weg gemacht, die Transformationsprozesse der Digitalisierung – fokus- siert auf die Kinder- und Jugendhilfe – mitzugestalten. In der Mischung aus Abstraktem und Konkretem nimmt sich der Wohlfahrtsverband zusammen mit den Mitgliedseinrichtung der Verantwortung an, Orientierung für das Arbeiten in digital geprägten Welten zu geben. So blei- ben die zu bewältigenden Aufgaben nicht der einzelnen Fachkraft überlassen, zugleich geht die Handreichung über die bloße Beschreibung einzelner, medienpädagogischer Projekte hinaus. BeMERKenswert: die dialogische Vorgehensweise der Entstehung der Handreichung, entspre- chend des Bottom-Up-Prinzips, was charakteristisch für die Digitalisierung ist – außergewöhn- lich: Überlegungen zur professionellen Haltung im Kontext der Digitalisierung – überfällig: die digitale Transformation auf die Kinder- und Jugendhilfe sowie den eigenen Verband und Träger zu übertragen.“ Prof. Dr. Verena Ketter, Hochschule Esslingen Professorin für Medien in der Sozialen Arbeit Dekanin der Fakultät Soziale Arbeit, Bildung und Pflege „Eine der Paradigmen heutiger Sozialer Arbeit ist die Orientierung am Alltag, bzw. der Lebenswelt ihrer Adressat:innen. Da diese unter anderem durch die fortschreitende Digitalisierung in ste- tiger Veränderung sind, entstehen stetig neue Herausforderungen für Fachkräfte der Sozialen Arbeit. Um darauf angemessen reagieren zu können bedarf es eines grundlegenden Verständ- nisses und einer interessiert aufgeschlossenen Haltung dem Digitalen gegenüber. Die vorlie- gende Handreichung kann als Grundlage zur Adaption zu einer lebensweltorientierten Sozial- arbeit im Zeitalter der Digitalisierung verstanden werden.“ Philipp Fode, MakeITsocial

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Grußwort Dr. Kornelius Knapp Grußwort Die Digitalisierung der Gesellschaft zum Wohl und Nutzen der Menschen mitzugestalten, ist ein zentrales Anliegen der Diako- nie Württemberg. Dabei haben wir insbesondere die Menschen in benachteiligenden Lebenslagen im Blick. Wissenschaftliche Befunde zeigen leider nach wie vor, dass sich die Benachteili- gung auch in digitalen Zugängen zur gesellschaftlichen Teilhabe fortsetzt. Dies wurde während der Corona-Pandemie besonders stark deutlich. Im Projekt „Digitale Alltagskompetenz und Beteiligung inklusiv denken – DABe:I“ haben wir uns deshalb intensiv damit beschäf- tigt, wie die digitale Teilhabe von Menschen in benachteiligen- den Lebenslagen verbessert werden kann. Unser Lebenswelt- orientiertes diakonisches Denken und Handeln führt uns dabei zu Alltagskompetenz und Beteiligung als einer Möglichkeit, Teil- habechancen zu verbessern. In Qualitätszirkeln und Qualifizie- rungen haben wir mit Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis intensiv erörtert, wie Soziale Arbeit zur Verbesserung digitaler Teilhabe benachteiligter Menschen beitragen kann. Die zent- ralen Erkenntnisse werden nun in dieser Handreichung für die Praxis nutzbar gemacht. Wir freuen uns sehr, dass dieses Projekt mit Hilfe einer Förde- rung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration aus Mitteln der Europäischen Union realisiert werden konnte. Wir danken den maßgeblich beteiligten Mitgliedern Aufbaugilde Heilbronn gGmbH, eva Heidenheim gGmbH, Hochdorf – Ev. Ju- gendhilfe im Kreis Ludwigsburg e.V., Stiftung Jugendhilfe aktiv und Stiftung Karlshöhe Ludwigsburg, aber auch allen anderen Fachkräften von Mitgliedern der Diakonie Württemberg, die mit ihren Diskursen bei Qualitätszirkeln und Qualifizierungen zum Entstehen dieser Handreichung beigetragen haben. Wir wünschen Ihnen gute Impulse bei der Nutzung der Handreichung! Dr. Kornelius Knapp Vorstand Sozialpolitik Diakonisches Werk der ev. Kirche in Württemberg e.V. „An den Ressourcen von Organisationen, Fachkräften, Kindern und Jugendlichen orientiert, er- öffnet diese Handreichung vielseitige Zugänge zur digitalen Transformation in der Kinder- und Jugendhilfe. Mit ihrer motivierenden und ermöglichenden Haltung laden die Projektverantwort- lichen alle Beteiligten ein, Mitgestaltende der digitalisierten Welt zu sein.“ Prof. Dr. Katrin Schlör, Evangelische Hochschule Ludwigsburg Campus Reutlingen Kulturarbeit | ästhetische und kulturelle Bildung | Medienbildung 03

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Projektbeschreibung Projektbeschreibung Die vorliegende Handreichung entstand im Herbst 2022 im Rahmen des von der EU-geförderten Projek- tes „DABe:I – Digitale Alltagskompetenz und Beteili- gung inklusiv denken“. Das Projekt DABe:I hatte den Auftrag, Herausforder- ungen, welche durch die digitale Transformation für benachteiligte junge Menschen, deren Familien sowie für langzeitarbeitslose Menschen entstehen, in den Blick zu nehmen. Neben einer fachlich-inhaltlichen Auseinandersetzung durch die sogenannten Quali- tätsdialoge stand die Förderung von Adressat:innen durch die Qualifizierung von Fachkräften im Fokus der Bemühungen. → zur DABe:I Projektbeschreibung → Was bedeutet eigentlich „digitale Alltagskompetenz“? → Warum digitale Alltagskompetenz und Beteiligung „inklusiv“ denken? Mit der fortschreitenden digitalen Transformation wachsen die Anforderungen an jeden Einzelnen: an die Fachkräfte in der So- zialen Arbeit, an unsere Adressat:innen und an uns selbst als Privatpersonen. Die Transformation ist als universal, global und allumfassend anzusehen. Daher ist es entscheidend, sich jetzt bereit zu machen und mit der Aneignung neuer Alltagskompe- tenzen eine gute Grundlage für den Umgang mit den Heraus- forderungen zu schaffen. Mit Alltagskompetenzen sind hier zum einen grundlegende digitale Kompetenzen gemeint: Kompe- tenzen, welche Basis für alltägliches, digitales Arbeiten sind, wie beispielsweise die Nutzung von Office-Anwendungen. Alltags- kompetenz bedeutet, hinsichtlich der Sozialen Arbeit, jedoch auch die digitale Lebenswelten junger Menschen zu kennen und zu verstehen, wie diese begleitet werden sollten. Ergänzt wer- den die Alltagskompetenzen von Spezialkompetenzen, welche für die spezifische, bedarfsorientierte Begleitung der Adressat: innen unabdingbar sind. Diese Spezialkompetenzen variieren je nach Arbeitsfeld. So kann es zum Beispiel in der Offenen Jugend- arbeit sinnvoll sein, Instagram zur Kommunikation mit jungen Menschen zu nutzen und die Fähigkeit Content zielgruppenge- recht bereitstellen zu können, auszubauen. DABe:I hatte es sich zum Auftrag gemacht, in fünf Bausteinen und ausgehend von den jeweiligen Adressat:innen und deren Bedarfen, Fachkräften diese Alltags- und Spezialkompetenzen zu vermitteln. Die Inhalte der Qualifizierungsangebote basierten auf einer Bedarfsanalyse bei den beteiligten Projektträgern und bezogen Rückmeldungen von Leitungs- und Fachkräften sowie von Adressat:innen ein. Bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Qualifizierungsange- bote sowie der Ziele von DABe:I wurde auf die Vermittlung einiger relevanter Punkte besonders Wert gelegt: DABe:I wollte Klarheit hinsichtlich dessen schaffen, warum sich Ungleichheiten in der Nutzung von digitalen Angeboten reproduzieren, wo Teilhabe- chancen junger und/oder langzeitarbeitsloser Menschen verrin- gert sind, wo und wie Ausschluss stattfindet und wie dieser Ent- wicklung in der Sozialen Arbeit entgegengewirkt werden kann. Junge Menschen im Allgemeinen sowie insbesondere junge Menschen aus benachteiligenden Lebenslagen brauchen einen sicheren Ort, an dem sie einen kritisch-reflexiven Umgang mit digitalen Medien erwerben können. Hier kommt Sozialer Arbeit ein bedeutsamer Auftrag zu. Gemeint ist hier sowohl Inklusion als Prozess wie auch „inklusiv“ als Zustandsbeschreibung. Im Rahmen des digitalen Wandels muss sich Soziale Arbeit die Frage stellen, inwieweit sie selbst inklusive digitale Strukturen ermöglicht bzw. dazu beiträgt, dass in, durch und mit der Digitalisierung Inklusion stattfindet, somit alle Adressat:innen am Wandel teilhaben und diesen mitgestal- ten können. Inklusion und Teilhabe Während Inklusion von den gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen sowie deren Wirkung auf den Menschen aus- geht, setzt Teilhabe am handelnden Subjekt und dessen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse an. Die Pandemie hat der Digitalisierung Vorschub gegeben und das Digitalisierungsniveau deutlich angehoben. Sie hat aber auch gezeigt, dass wir als Gesellschaft, bezogen auf eine gerechte Verteilung von Teilhabechancen, noch lange nicht dort ange- kommen sind, wo wir uns vermeintlich schon wähnten. Schon Ende der 2000er Jahre wurde – teilweise auch von wissenschaft- licher Seite – die Ansicht vertreten, dass strukturelle Benachtei- ligungen überwunden und gleichberechtigte und gleichverteilte Zugänge zum Internet für alle Bevölkerungsschichten möglich seien. Die Coronapandemie zeigte jedoch, dass Benachteiligung durch einen Mangel an Ausstattung, Zugängen, Kompetenzen und Teil- habe immer noch aktuell ist. In den Qualitätsdialogen und Qualifizierungsangeboten im Rah- men des Projektes DABe:I kam daher besonders das Bestreben zum Tragen, Fragen der Haltung zu klären sowie diese zu vermit- teln und hierbei die Notwendigkeit von Inklusions- und Teilha- bebemühungen im Bereich der Digitalisierung Sozialer Arbeit hervorzuheben. Im Projekttitel wurde dies durch den Zusatz „inklusiv denken“, d.h. „unter Beteiligung Aller denken“ und durch den Doppelpunkt in DABe:I, d.h. adressiert an „alle Geschlechter und barrierefrei“, signalisiert. 05

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Projektbeschreibung H a n d r e i c h u n g Q u alitä t s d i a l o Q u alit ä t s d i a l o g 5 , „ H e r a u s f o r d e rungen für Fachkräfte“ – Prof.in Dr.in S g 4 , „ D a s M edienkonzept – als Voraussetz „Te ilnahme ermöglichen – A d i a l o g 3 , d i a l o g 2 , „Digitalisierung org a li t ä t s dialog 1, „Überg Q u alit ä t s u alit ä k t e n i s i “ – s p d i u n a l e r i t t s a g e g Q e u Q c hlö r, E H L u d P r o f. D r. w i g s b u r H g a j o k , U e B e t e i l i g u n g “ – J ü r g e n E r t elt n i v e r s i t ä t E r f u r t Q u a l i t ä t s a u s s a g e n Q u a l i t ä t s a u s s a g e n en g a s s u a s t ä t i l a u Q n e g SOZIALE ARBEIT IN DIGITAL GEPRÄGTEN WELTEN n sli s ter, Hochschule E e t r e if e n d e P r i n z i i p e n “ P rof.in Dr.in phil. K Qualitäts n “ – D r . H o l l e r , B B W M o s b a Q ch-HD ualitätsaussagen a u s sagen In fünf thematisch gesetzten Qualitätsdialogen zwischen Mai und August 2022 mit jeweils einem Impuls ausgewählter Expert: innen kamen Fach- und Leitungskräfte sowie Vertreter:innen von Stabsstellen in einen fachlichen Diskurs. Ein Team der Hochschule Esslingen zur wissenschaftlichen Be- gleitung flankierte die Qualitätsdialoge und wertete diese aus. Es entstanden Qualitätsaussagen zur Sozialen Arbeit in digital geprägten Welten, welche die Basis für diese Handreichung dar- stellten. Zur Vertiefung finden Sie die Protokolle der Qualitätsdialoge hier: → zu den Protokollen der Qualitätsdialoge 06

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Ziel der Handreichung Ziel der Handreichung Die vorliegende Handreichung möchte Ihnen → Zu den Inhalten • • • einen Überblick über den aktuellen fachlichen Diskurs bezo- gen auf die Digitalisierung in der Sozialen Arbeit – speziell in der Kinder- und Jugendhilfe – geben, den Austausch und entsprechende Prozesse bei den diako- nischen Trägern Sozialer Arbeit zur Haltungs- und Kulturbil- dung sowie zur Schaffung eines neuen Selbstverständnisses anregen und aufzeigen, wie der umfassende Auftrag, den digitalen Wandel zu begleiten, gelingen kann. Mit der digitalen Transformation hat ein Prozess begonnen, den Träger und Fachkräfte der diakonischen Sozialen Arbeit spätes- tens ab jetzt im besten Sinne für ihre Adressat:innen gestalten und begleiten sollten, um deren Teilhabe sicherzustellen. Um Digitalisierung gestalten zu können, benötigt es unter anderem • • • • das Anstoßen von Prozessen auf Ebene der Träger, eine offene Haltung sowie mediale Kompetenzen auf Ebene der Fach- und Leitungskräfte, den Einbezug medienpädagogischen Handelns auf Ebene der konkreten Umsetzung sowie das zur Verfügung stellen von Ressourcen auf Ebene der Kostenträger. Oder um es mit dem Modell der „Digitalen Reife“ zu beschreiben: Es benötigt die richtige Haltung und Motivation, grundlegende Kompetenzen sowie die notwendige Ausstattung, um die digitale Transformation zu gestalten. Hierauf nimmt die Handreichung Bezug. Der digitale Status Quo einer Einrichtung bestimmt den „digitalen Reifegrad“ und ermöglicht die Identifikation von Potentialen und Lücken. Aktuell gibt es erst wenige Tools zur Bestimmung des digitalen Reifegrads von Sozialen Einrichtungen. Zu Beginn der Auseinandersetzung mit der Thematik lohnt sich aber der eingehende Blick auf den eige- nen digitalen (Umsetzungs-)Stand. Hierzu kann der Digita- lisierungs-Check für freie Träger der Kinder- und Ju- gendhilfe – erstellt mit und für Mitgliedseinrichtungen der Diakonie Württemberg genutzt werden. Das Hauptaugenmerk der Handreichung liegt auf der Beschrei- bung einer gelingenden Haltung und Motivation, auch wenn Punkte wie Ausstattung und Kompetenzen wesentlich sind. Die richtige Haltung ist auch im digitalen Raum Grundlage professio- nellen sozialpädagogischen Handelns und sollte daher zuvörderst in den Blick genommen werden. Um die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, soll mit der Handreichung versucht werden, Begriffsbestimmun- gen sowie eine Übersicht und Erläuterungen der verschiedenen Begrifflichkeiten vorzunehmen. Die weitere Handreichung ist dann in vier thematische Bereiche unterteilt: • Haltung und übergreifende Prinzipien • Digitalisierung als Change-Management-Prozess • Digitalisierung auf institutioneller Ebene • Arbeit mit Adressat:innen Unter den jeweiligen Überschriften finden Sie eine fachliche Ein- leitung, einige Impulse zur Orientierung mit Reflexionsfragen und – wo nötig – weitere Hinweise für Ihre Praxis. Originaltöne von Fach- kräften sowie Adressat:innen und Good-Practice-Beispiele ver- anschaulichen die theoretischen Erläuterungen. Ergänzt und vertieft wird die Handreichung durch den „Digitali- sierungs-Check für freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe – erstellt mit und für Mitgliedseinrichtungen der Diakonie Württemberg“. → zum Digitalisierungs-Check Der Digitalisierungs-Check umfasst eine Vielzahl an Themen und macht durch Erläuterungen Aussagen zu einem erstre- benswerten Idealzustand im Bereich der Digitalisierung Sozialer Arbeit. 07

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Digitalisierung – eine Begriffsbestimmung Digitalisierung – eine Begriffsbestimmung zwischen digitaler Transformation, Digitalisierung, Mediatisierung und Digitalität. Zunächst beschreibt der Begriff digitale Transformation den Einfluss von Digitalisierung auf alle Ebenen der Gesellschaft: auf alle Individuen, auf Organisationen und auf unsere kulturelle Identität. Digitalisierung kann zum einen – bezogen auf Organisationen der Sozialen Arbeit – als eine Veränderung der „Geschäftspro- zesse“ betrachtet werden. Hiermit gemeint ist das „digital-ma- chen“ im Sinne der digitalen Erbringung bisher analoger Arbeits- weisen und damit einhergehend oftmals die Idee einer Effizienz- steigerung durch technologisierte Arbeitsweisen. Es geht um die Einrichtungsdigitalisierung und darum, digitale Partizipations- und Wissenssysteme aufzubauen, welche digita- lisierte Daten nutzen. → Digitalisierung als technologische Entwicklung Beispiele für eine solche Entwicklung sind unter anderem das Angebot eines einrichtungsinternen Intranets zur Information, Partizipation, Vernetzung und zum Wissensmanagement zwi- schen Mitarbeitenden eines Trägers oder die Risikoeinschätzung in einer Gefährdungsbeurteilung bei einer Kindeswohlgefährdung mittels Assessment-Bots. Digitalisierung kann zum anderen aber auch verstanden werden als die Veränderung des „Geschäftsmodelles“ eines Trägers der Sozialen Arbeit. Diese geschieht unter Berücksichtigung der sich durch die Digitalisierung ergebenden sozialen Veränderungen. Damit verbunden ergeht der Auftrag an den Träger, eine ange- passte Kultur, ein neues Selbstverständnis in Bezug auf die Pro- fession Sozialer Arbeit und neue, angepasste Aufträge zu ent- wickeln. Für diese Form der Digitalisierung kann es viele Gründe geben. Zum Beispiel kann durch neue Modelle praktischer Arbeit ein niederschwelliger Zugang geschaffen, eine größere Zielgruppe erreicht und eine verbesserte Erreichbarkeit ermöglicht werden. → Digitalisierung als Erweiterung des Handlungsfeldes Sozialer Arbeit Beispiele für eine solche Entwicklung sind unter anderem die Aus- weitung der Mobilen Jugendarbeit in Baden-Württemberg in den virtuellen Raum hinein: „virtuell-aufsuchende Mobile Jugendar- beit“ oder webbasierte Beratungsangebote wie „Gut beraten in Württemberg“. Digitalisierung beschäftigt sich demnach nicht nur mit der technischen Umsetzung und der strukturellen Rahmung von Digitalisierung – sie hat nicht ausschließlich mit Technik zu tun. Vielmehr stellt sie nach der Mechanisierung, der Motorisierung und der Industrialisierung die vierte industrielle Revolution dar. „Die fortschreitende Digitalisierung mit ihrer gleichzeitigen Durchdringung von Lebenswelten junger Menschen und professionellen Handlungsformen Sozialer Arbeit verändert Kinder- und Jugendhilfe auf verschiedenen Ebenen: Auf der ersten Ebene bestimmt die Digitalisierung mit ihren digita- len Erfahrungsräumen die Erfahrungswelten von Kindern und Jugendlichen. Reale und virtuelle Lebensräume ver- schränken sich auf vielfältige Weise. Auf der zweiten Ebene haben sich die Angebotsstrukturen in den verschiedenen Leistungsfeldern zunehmend der Anforderung der Digita- lisierung zu stellen, um anschlussfähig an jugendliche digi- talisierte Lebenswelten zu sein. Auf der dritten Ebene haben die öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe im digi- talen Zeitalter neue Formen der Verwaltung zu entwickeln, um zeitgemäße leistungsfähige Arbeits- und Kooperations- formen gewährleisten zu können.“ Aus: www.kinder-jugendhilfe.info Sie hat jetzt schon weitreichende Auswirkungen auf unser gesell- schaftliches Miteinander und wird dies auch weiterhin haben. Digitalisierung ist also keine Entwicklung, von der man sich selbstbestimmt lösen kann. Sie stellt eine grund- legende Transformation unserer Gesellschaft dar mit Auswirkung auf soziale und kulturelle Praktiken. Diese Entwicklung bringt Chancen, aber auch Herausforderun- gen und Risiken mit sich. Schon bekannte Problemlagen zeigen sich im Digitalen ebenfalls, Ungleichheiten werden reproduziert und zum Teil auch verschärft. Man spricht von einer digitalen Spaltung. → Es haben eben nicht alle Menschen freien und gleichen Zu- gang zum Internet und auch nicht die gleichen Nutzungsmög- lichkeiten sowie Kompetenzen. Digitale Spaltung verstehen: Das Konzept der Digitalen Spal- tung (Digitale Divide) untergliedert digitale und damit soziale Un- gleichheiten in drei Stufen: Die erste Stufe beschreibt den ungleichen Zugang und die un- gleiche Ausstattung mit Informations- und Kommunikations- technologien (first-level digital divide). Beispielhaft kann hier die Ausstattung mit digitalen Endgeräten benannt werden. Laut der Studie „D21-Digital-Index“ für die Jahre 2021/2022 wird die Gerätenutzung nach wie vor stark beeinflusst von den Faktoren Bildung und dem damit oft korrelierenden Haushaltsnettoein- kommen: Je höher das monatliche Haushaltsnettoeinkommen, desto höher ist die durchschnittliche Anzahl genutzter Endgeräte. 08

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Digitalisierung – eine Begriffsbestimmung Ohne digitale Endgeräte ist Teilhabe in, an und durch digitale Medien aber nicht oder nur teilweise möglich. Die Studie „D21-Digital-Index“ misst seit 2013 jährlich in einer Kennzahl den Digitalisierungsgrad der deutschen Be- völkerung. Sie gibt Auskunft darüber, wie gut einzelne Grup- pen und die Gesellschaft insgesamt mit den steigen- den Anforderungen des digitalen Wandels Schritt halten. → zur Studie der Initiative D21 Menschen und deren Familien ist. Dies fasst der Begriff Digita- lität zusammen und meint damit unter anderem die auf der Digi- talisierung basierenden Verbindungen zwischen Menschen sowie zwischen Menschen und Objekten. Mediatisierung und digitale Transformation wiederum werden oft synonym verwendet und meinen die kulturellen und gesell- schaftlichen Auswirkungen, welche mit der vermehrten Medien- nutzung einhergehen. Mediatisierung wie auch Digitalisierung sind als Metaprozesse zu verstehen. Mediatisierung und Digitalisierung – beides zusammen ist digi- tale Transformation. Die zweite Stufe beschreibt, welche Abhängigkeiten zwischen unterschiedlichen digitalen Nutzungspraktiken und Partizipations- möglichkeiten sowie individuellen Bildungserfahrungen, sozialen Netzwerken und der ökonomischen Ausstattung bestehen (se- cond-level digital divide). Hier lohnt sich ebenfalls ein Blick auf die Ergebnisse des D21-Digital-Index: Soziale Medien nehmen im Leben der Menschen eine immer wichtigere Rolle ein. Vor allem werden hier aber auch große Unterschiede im Nutzungsverhalten von Personen verschiedener Bildungs- und Einkommensniveaus offensichtlich. Das Bildungsniveau hat zudem große Auswirkun- gen auf die Ausprägung von Kompetenzen. Digitale Problemlö- sekompetenzen sind beispielsweise bei Personen mit formal niedrigerer Bildung weniger stark ausgeprägt. Die dritte Stufe basiert auf einer infrastrukturellen und techno- logischen Spaltung, welche zum Beispiel durch personalisierte Internetdienste, Algorithmen und Cookies verursacht wird (zero- level digital divide). Hier zeigen sich ebenfalls Unterschiede im Nutzungsverhalten sowie hinsichtlich der Kompetenzen. Laut des D21-Digital-Index gibt es dabei erneut Unterschiede zwi- schen formal hoch und niedrig gebildeten Personen. Letztere nutzen oftmals nur eine Quelle zur Internetrecherche oder verfü- gen über wenig Wissen Algorithmen betreffend. Alle drei Ebene verdeutlichen, dass sich gesellschaftliche Un- gleichheiten in der digitalen Welt reproduzieren und es große Unterschiede zwischen Profiteur:innen und Benachteiligten des digitalen Wandels gibt. Ohne passgenaue Unterstützung steigt der „digital divide“ mit dem Grad der Digitalisierung einer Ge- sellschaft an. Junge Menschen unterscheiden nicht mehr zwischen rea- len und virtuellen Erlebnissen – sie erfahren die vielfältigen Sozialräume ,vireal‘. Dies meint die Verknüpfung von rea- len und virtuellen Lebenswelten zu einem Kontinuum mit der Konsequenz, dass auch Soziale Arbeit in ihren Heran- gehensweisen die Trennung in die beiden Parallelwelten aufheben sollte. (vgl. Ketter 2014) Bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe muss anerkannt wer- den, dass das soziale Leben von jungen Menschen, deren Teilha- bechancen und die sich daraus ergebenden Herausforderungen nicht nur durch den digitalisierten Alltag geprägt sind: Digitales und Analoges sind miteinander verwoben. Dabei sind die Her- kunftsressourcen der Adressat:innen – ökonomisch, sozial und kulturell gesehen – stark prägend für deren Medienaneignung. Daher ist nicht mehr von einem extern ablaufenden Prozess, son- dern von einer alles durchdringenden Transformation – einer virealen Lebenswelt auszugehen –, welche alltäglich für junge 09

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Haltung und übergreifende Prinzipen: zwischen Schutz und Befähigung Haltung und Übergreifende Prinzipien: zwischen Schutz und Befähigung „Digitalisierung ist gerade ein riesiges Thema – ständig begegnet mir dieses Schlagwort. Tatsächlich ist mir aber unklar, was Digitalisierung mit meiner Arbeit zu tun haben soll. Klar, ich schreibe nun auch häufiger Mails oder mache mal eine Videokonferenz, von allem anderen habe ich aber nur wenig Ahnung. Ich habe So- zialpädagogik studiert, weil ich direkt mit Menschen arbeiten möchte – aus der Digitalisierung halte ich mich heraus.“ (Markus, 44, Ambulanter Bereich) Soziale Arbeit fördert die gesellschaftliche und soziale Entwick- lung von Menschen und deren Selbstbestimmung unter Berück- sichtigung von Aspekten der sozialen Gerechtigkeit sowie der Menschenrechte. Das Bewusstsein für das „Doppelmandat Sozi- aler Arbeit“ wurde zudem von Staub-Bernasconi um eine dritte Dimension ergänzt. Inzwischen spricht man neben dem Doppel- mandat noch von einem dritten Mandat, welches aus der Logik der Professionalisierung resultiert. Das Tripelmandat bringt zum Ausdruck, dass sich soziale Arbeit nicht nur zwischen den An- sprüchen von Adressat:innen und Staat bewegt, sondern auch die eigene Fachlichkeit als Profession zu berücksichtigen hat. Mit der Digitalisierung ist ein umfassender Wandel sozialer Systeme mit Auswirkungen auf alle Lebensbereiche gemeint. Wir bewegen uns in digital geprägten Welten. Insbesondere für junge Menschen ergeben sich aus der zunehmenden Mediatisierung der Lebens- welten Chancen aber auch neue Bewältigungsherausforderun- gen. Hier muss Soziale Arbeit ihrem Mandat gerecht werden und durch eine sorgsame Begleitung und Unterstützung zur Teilhabe, Schutz und Befähigung an und mit digitalen Lebenswelten bei- tragen. Das Verständnis der eigenen Fachlichkeit muss um die digital geprägten Welten erweitert werden. 10

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Haltung und übergreifende Prinzipen: zwischen Schutz und Befähigung → Eine förderliche Haltung entwickeln Ein lebenswelt- und adressat:innenorientierter Blick auf Digita- lisierung ist Grundvoraussetzung für die Einhaltung des Triple- mandats Sozialer Arbeit. Daraus ergeht der klare Auftrag, den digitalen Wandel zu begleiten, aber auch eigene Angebote zu digi- talisieren um junge Menschen in ihrer Lebenswelt zu erreichen. Pädagogische und sozialarbeiterische Aufträge sowie ethische Prinzipien gelten auch unter Aspekten der Digitalisierung. Fach- kräfte in der Sozialen Arbeit benötigen daher eine professionel- le Grundhaltung, die es ermöglicht, den pädagogischen Auftrag auch in digitalen Welten wahrzunehmen und umzusetzen. Dieser muss sich an den Dimensionen Teilhabe, Befähigung und Schutz orientieren. Den jungen Menschen soll ein gelingendes Aufwach- sen in digital geprägten Welten ermöglicht werden. Das beinhal- tet das Herstellen von Teilhabegerechtigkeit und die Möglichkeit zur gesellschaftlichen und damit auch digitalen sowie medialen Teilhabe. → Eine förderliche Kultur zur Umsetzung nutzen Diese Haltung entsteht im besten Fall im multiprofessionellen Austausch verschiedener Fachkräfte, auch über den Träger hin- aus. Auftrag des Trägers ist es, diesen Austausch für alle Fach- kräfte regelmäßig zu ermöglichen und die Diskussion und Refle- xion durch fachliche Impulse zu fördern. Teil der förderlichen Kultur ist es, junge Menschen als Expert:in- nen für ihre eigene Lebensgestaltung anzusehen. Sie müssen auch im Hilfekontext das Recht eingeräumt bekommen, sich ihre eigene Welt erschließen und konstruieren zu können. Hierfür be- nötigen Sie im Rahmen von Kinder- und Jugendhilfe Freiräume. Fachkräfte müssen demnach nicht selbst die Expert:innen für digitale Lebenswelten sein. Sie benötigen grundlegende Kennt- nisse, sollten ansonsten aber junge Menschen als Expert:innen wahrnehmen, ihnen auf Augenhöhe begegnen, sie an der Ausge- staltung und Umsetzung medialer Angebote beteiligen und Frei- räume für die Erkundung medialer Welten schaffen. → Den diakonischen Blick bewahren Die Diakonie versteht sich als Förderin von Teilhabemöglichkei- ten. Als solche muss sie digitale Teilhabe gestalten und darf gleichzeitig die Adressat:innenorientierung als Bestandteil pro- fessionellen Arbeitens nicht aus dem Blick verlieren. Letzteres bedarf der stetigen Reflexion anhand der Frage, ob das profes- sionelle Handeln dem diakonischen Auftrag – „dem Menschen dienlich zu sein“ – gerecht wird. Dies beinhaltet auch eine kriti- sche Auseinandersetzung mit den Auswirkungen und Risiken von digitalen und medialen Entwicklungen auf das Aufwachsen junger Menschen. → Das Leitbild nutzen Ein Leitbild wirkt nach innen wie nach außen: es ist verbindli- ches Aushängeschild eines Trägers, schafft Identifikationsmög- lichkeiten und einen verlässlichen Rahmen. Es empfiehlt sich, dieses Tool zu nutzen und innerhalb der Einrichtung in einen multi- professionellen Austausch zum digitalen Wandel, den Auswirkun- gen auf die Adressat:innen und damit auf die Profession Sozialer Arbeit zu gehen. Im Rahmen dieses Prozesses kann überprüft werden, inwieweit das Leitbild Aussagen zur Verankerung der digitalen Lebenswelt in den Angeboten des Trägers beinhaltet. Zudem kann geklärt werden, ob sich der digitale Wandel in den Werten, Grundsätzen und Zielen der Einrichtung widerspiegelt. In diesem Prozess kann die Vernetzung mit anderen Trägern So- zialer Arbeit für einen trägerübergreifenden Austausch und zur Schaffung von Synergien hilfreich sein. → Medienbildung als Auftrag wahrnehmen Legt man die oben benannte förderliche Kultur zugrunde, ist Medienbildung ein Co-Produktionsprozess, in dem gemeinsa- mes Lernen, wechselseitige Befähigung, Autonomie und Betei- ligung von großer Bedeutung sind. Die Kinder- und Jugendhilfe hat einen Bildungsauftrag und soll junge Menschen dazu befähi- gen, sich in digitalen Räumen schützen, ihre persönlichen Rech- te in digital geprägten Welten wahrnehmen sowie autonom und selbstbestimmt mit digitalen Medien handeln zu können. Dies ist vor allem dann umzusetzen, wenn berücksichtigt wird, dass benachteiligte Kinder Medien früher und häufiger unbegleitet als der Durchschnitt nutzen. Zudem sind Kinder als größte Nutzendengruppe und versehen mit einer erheblichen Kaufkraft für große Konzerne auch wirt- schaftlich interessant, entsprechend werden sie umworben. Unter diesen Voraussetzungen muss Trägern und Fachkräften bewusst sein, dass eine „bewahrpädagogische Haltung“ weder den Bedarfen der Adressat:innen noch dem sozialpädagogi- schen Auftrag in digital geprägten Welten entlang von Befähi- gung und Teilhabe gerecht wird. Der Begriff „Bewahrpädagogik“, der insbesondere im Zu- sammenhang mit Digitalisierung und Medienpädagogik ver- wendet wird, meint das Bewahren der Adressat:innen vor Gefahren auf Grundlage der Handlungsmaximen „Schutz, Steuerung und Kontrolle“. Oftmals beruht „Bewahrpädago- gik“ auf einem restriktiven und verbietenden Umgang mit di- gitalen Medien, dem Internet oder weiteren digitalisierten Prozessen. Diese Art der pädagogischen Haltung erweist sich als hinderlich, da die Vermittlung notwendiger Medien- kompetenzen, der kritische Umgang mit digitalen Medien sowie die Entwicklung einer medienbezogenen Selbstän- digkeit verhindert wird. → Die Rechtsgrundlage beachten Der Lebensalltag junger Menschen ist digital durchdrungen – sie kommen durch das Aufwachsen in einer mediatisierten Welt schon früh mit digitalen Medien in Kontakt. Diese Durchdringung führt zu einer Mediatisierung des Alltags und zu einem mediati- sierten Aufwachsen. Die mediatisierte Welt ist kein „rechtsfreier“ Raum. Junge Menschen haben auch im digitalen Raum Rechte, welche dort ebenso Gültigkeit besitzen und zu schützen sind: ein Recht auf Teilhabe, ein Recht auf Bildung, ein Recht auf Förde- rung, ein Recht auf Selbstbestimmung und ein Recht auf Schutz. Dies spiegelt sich in einer Vielzahl an Rechtsgrundlagen wider. Soziale Arbeit muss hier ihrem Auftrag gerecht werden, anwalt- schaftlich für die Rechte ihrer Adressat:innen einzutreten, be- nachteiligte junge Menschen über ihre Rechte aufzuklären und diese dabei zu unterstützen, für ihre Rechte einzustehen. In diesem Sinne gelten Rechte von Kinder und Ju- gendlichen nicht nur in ihren analogen Lebenswelten, sondern in allen Lebenswelten in denen sie sich bewe- gen. Dies muss von Sozialer Arbeit wahr- und ernstge- nommen werden. 11

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Haltung und übergreifende Prinzipen: zwischen Schutz und Befähigung Zur Vertiefung finden Sie eine Übersicht der Rechtsgrund- lagen auf folgender TaskCard: Diakonisches Werk Württem- berg #Kinder- und Jugendhilfe in digital geprägten Welten: Rechtsgrundlagen Reflexionsfragen Findet sich das Thema Digitalisierung und der digitale Wandel in Ihrem Leitbild wieder? Gibt es in Ihrer Einrichtung eine gemeinsam abgestimmte Haltung zum Auftrag von Sozialer Arbeit im digitalen Wandel? Woran würden Sie „bewahrpädagogische Strömungen“ bei Ihrem Träger festmachen? Beinhalten die Konzeptionen Ihrer Angebote auch Zielsetzungen, welche sich auf den digi- talen Wandel und die gelingende Begleitung sowie Umsetzung dessen beziehen? Richtet Ihr Träger regelmäßige Reflexions- und Austauschmöglichkeiten für Fachkräfte ein, um aktuelle Digitalisierungsthemen und deren Auswirkungen auf den pädagogischen Alltag zu diskutieren? Ist der digitale Wandel und die Auswirkungen auf die Profession Sozialer Arbeit Thema bei einer dieser Austauschrunde gewesen? 12

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Digitalisierung als Change-Management-Prozess Digitalisierung als Change-Management- Prozess „Für unsere Einrichtung wurden seit der Pandemie mehrere Laptops und Tablets angeschafft und wir Mitar- beitenden können einen Vertrag zum mobilen Arbeiten unterschreiben. Aber wie genau wir die Geräte in un- seren pädagogischen Praxisalltag sinnvoll einbinden können und welche Konsequenzen das für die Arbeit hat, ist uns unklar. Gefragt oder belehrt hat uns darü- ber niemand.“ (Susanne, 38, stationäre Wohngruppe) Digitalisierung in der Sozialen Arbeit ist kein Prozess, welcher mit der Beschaffung digitaler Geräte beendet ist. Digitalisierung als gesellschaftliche Transformation muss ganzheitlich und systematisch in der Umsetzung professioneller Sozialer Arbeit berücksichtigt und in die Strukturen und Visionen der Träger und Einrichtungen nachhaltig implementiert werden. Betroffen hier- von kann der Träger als Unternehmen im Sinne der „Digitalisie- rung eigener Prozesse“ sein, sowie die pädagogisch-umsetzende Ebene im Sinne der „Befähigung junger Menschen“. Der Ansatz des Change-Managements bietet eine sinnvolle Herangehens- weise, Veränderungsprozesse und Innovationen in Organisa- tionen und Einrichtungen Sozialer Arbeit verstehen und unter Berücksichtigung aller Beteiligten organisieren zu können. Change-Prozesse, darunter Digitalisierungsprozesse, müssen unter Einbindung der gesamten Trägerstruktur aktiv geplant und gestaltet werden. 13

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Digitalisierung als Change-Management-Prozess → Verantwortungen klären → Stakeholderanalyse Zu Beginn des Change-Prozesses bedarf es der Klärung eindeu- tiger Verantwortungs- und Zuständigkeitszuschreibungen, wie zum Beispiel die Ernennung von Digitalisierungsbeauftragten oder die Einrichtung einer Stabstelle. Idealerweise wird der Pro- zess durch mehrere Personen aus verschiedenen Abteilungen der Organisation begleitet, die sich zu einem Team im Rahmen einer Arbeitsgruppe zusammenschließen. Den Leitungskräften kommt hierbei eine tragende Rolle zu. Gefragt ist ein situativer und unterstützender Führungsstil, welcher auf die Bedarfe von Fachkräften eingeht, dabei die Vision der Einrichtung vermittelt und Motivation schafft. Tritt die Leitungskraft darüber hinaus klar und strukturiert auf, bietet dies die Sicherheit die benötigt wird um den Wandel gemeinsam planen und steuern zu können. Stakeholder sind alle direkten oder indirekten Beteiligten eines Trägers. Stakeholder können in unterschiedlichem Ausmaß zum Erfolg oder Misserfolg des Digitalisierungsprozesses beitragen, daher sollten sie frühestmöglich eingebunden sowie deren Ei- geninteressen herausgearbeitet werden. Dazu kann die Stake- holderanalyse als wiederkehrende Aufgabe im Prozessverlauf dienen. Ziel ist es, die Unterstützer:innen und Bremser:innen des bevorstehenden Prozesses sowie ihre individuellen Interes- sen und Bedarfe, ihr Grad der Betroffenheit, ihre Einflussmög- lichkeiten sowie Kommunikationsvorlieben herauszufinden. Mit dem Change-Prozess gehen neue Arbeitsweisen, Methoden und Rollen einher, die zu Verunsicherung, Frust, Verlustangst oder Ohnmachtsgefühlen bei Stakeholdern führen können. Design Thinking ist eine kreative und interaktive Methode, um in sechs Schritten neue Ideen und Lösungen für Prob- leme oder Bedarfe der Nutzer:innen zu finden. Mehr zu den Schritten z.B. unter www.digitaleneuordnung.de/blog/design-thinking-methode/ → Vision entwickeln Der erste Schritt zur Planung eines Veränderungsprozesses ist die Entwicklung eines anzustrebenden Zielzustands mit realisti- schen, erreichbaren Zwischenschritten. Denn eine fehlende Visi- on führt zu Verwirrungen bei den beteiligten Fachkräften, welche den Prozess behindert. Es gilt, den diakonischen Auftrag einrich- tungsspezifisch gemeinsam mit allen Mitarbeitenden in digitale Handlungsfelder zu übersetzen. Das Leitbild des Trägers muss die Rechte junger Menschen verankern, welche sich auf Teilhabe, Befähigung und Schutz in digital geprägten Welten beziehen. SMARTe Ziele sind: spezifisch, messbar, akzeptiert, realis- tisch und terminiert. → Digitalisierungsstrategie Zur Feinplanung und Umsetzung der Vision ist eine Digitalisie- rungsstrategie empfehlenswert. Kennzeichnend für eine Digita- lisierungsstrategie ist die Verzahnung von • • • Zum strategischen Vorgehen gibt es viele hilfreiche Methoden wie SMARTe Ziele, SWOT-Analyse, Design Thinking und Story- telling. normativer Ebene: Haltung, strategischer Ebene: Planung von Zielen sowie Handlungsschritten und operativer Ebene: Umsetzung. SWOT Analyse: Damit ist eine Analyse in vier Richtungen gemeint: Stärken (strengths), Schwächen (weaknesses), Chancen (opportunities) und Risiken (threads). Mit Hilfe der Analyse können Wege gefunden werden, wie Stake- holder individuell eingebunden, angesprochen, wie bestehende Ängste abgebaut und mögliche Anreize geschaffen werden kön- nen, um sie für den Digitalisierungsprozess zu gewinnen. Der Begriff „Stakeholder“ bezeichnet Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen, die von einer Aktivität einer Einrichtung (un)mittelbar betroffen sind oder möglicher- weise davon betroffen sein und/oder ein aktives Interesse an der Materie entwickeln könnten. Innerhalb einer Einrich- tung kann es Untergruppen geben, die sich in der Art und Weise, wie sie betroffen sind, und dementsprechend in ihren Bedürfnissen und Zielen unterscheiden und dadurch sogar konträre Interessen verfolgen können. (vgl. Miebach 2020) → Partizipation Angestrebt werden soll eine aktive Beteiligung und Mitbestim- mung aller Akteur:innen. Insbesondere die Mitarbeitenden als Stakeholder spielen eine wichtige Rolle, denn die Digitalisierung eigener Prozesse und Abläufe sowie die gelingende Begleitung des digitalen Wandels können nur gemeinsam mit allen Mitarbei- tenden gelingen. Ideen, Verbesserungsvorschläge und Kritik zum Vorgehen aus verschiedenen Perspektiven sind wertvoll für ei- nen Change-Prozess. Es gilt, individuell geeignete Beteiligungs- formate herauszufinden und anzubieten. Als Mindestmaß und Vorstufe der Partizipation sollten alle Beteiligten gehört werden. → Kommunikation Transparenz und Authentizität im Umgang mit Prozessinforma- tionen und möglichen Konsequenzen sind wichtig, um Alibi-Be- teiligungen und Misstrauen zu vermeiden sowie um alle Mitar- beitenden mitzunehmen. Ein offener Austausch zwischen allen Akteur:innen muss angestrebt werden. Mögliche Kommunika- tions- und Beteiligungsformate sind interne Plattformen zum Diskussionsaustausch, Meetings, Seminare sowie Barcamps, Hearings und vieles mehr. Storytelling und praxisnahe Beispiele können zur Veranschaulichung von Inhalten dienen. 14

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Digitalisierung als Change-Management-Prozess Storytelling ist eine Erzählmethode, um Inhalte und Wissen emotionalisiert und durch rhetorische Mittel anschaulich zu vermitteln, zum Beispiel durch Symbolik, Bildsprache und Dramaturgie. → Flexibilität Veränderungen und Innovationen setzen die Fähigkeit und Be- reitschaft zur Flexibilität aller Beteiligter voraus. Der Digitali- sierungsprozess soll eine Langlebigkeit in der Schnelllebigkeit darstellen. Gelingende Digitalisierungsprozesse schaffen die Grundlage für eine Haltungs- und Kulturbildung, welche als Rah- mung für das eigene Handeln eine gemeinsame Vision entstehen lassen. Diese macht den flexiblen und bedarfsgerechten Um- gang der Fachkräfte mit den Veränderungsdynamiken der Digi- talisierung möglich. Digitalisierung ist stark von den jeweiligen Zielen, Rahmenbedingungen und Adressat:innengruppen ab- hängig, sodass keine einheitliche und einmalige Lösung für alle Einrichtungen bereitgestellt werden kann. Flexible Konzepte und Spielraum in der Umsetzung geben den Mitarbeitenden die Chance, den Wandel verantwortlich mitgestalten zu können, wo- durch gleichzeitig ihre Bereitschaft, Akzeptanz und Zufrieden- heit steigt. → Prozesshaftigkeit Grundlegend ist, die digitale Transformation des Trägers sowie die Begleitung dieser als Prozess zu betrachten. Die einzelnen Bausteine des Change-Management-Prozesses sind: • • • • • Status quo erheben – Veränderungsbedarf feststellen, Ziele – Abläufe definieren, Veränderungen kommunizieren – Akzeptanz schaffen, Veränderungsprozesse begleiten und umsetzen, Fortschritt und Zielerreichung überprüfen. Diese Schritte sollten einrichtungsintern durchgearbeitet und regelmäßig evaluiert werden. Dabei gibt es keine richtige Schritt- folge, aber jeder umgesetzte Schritt ist ein Fortschritt. Das Ein- arbeiten von Veränderungen während der Umsetzung ist gewollt. Letztendlich muss das Vorgehen zur Einrichtung und deren Res- sourcen passen. Good-Practice-Beispiel Die Notwendigkeit der Nutzung einer Digitalisierungs- strategie hat auch das Berufsbildungswerk Mosbach- Heidelberg erkannt: „Wir wollen den digitalen Wandel systematisch angehen, sonst sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr! Deshalb koordinieren wir das Thema Digitalisierung über eine Strategie und setzen es im Kontext der beruflichen Rehabilitation mit Hilfe einer Task Force konsequent um und nehmen dabei alle Beteiligten mit!“ so der Leiter des BBW Mosbach- Heidelberg, Dr. Martin Holler. Reflexionsfragen Gibt es bei Ihrem Träger Klarheit darüber, wer den Digitalisierungsprozess steuert und plant? Ist Digitalisierung Teil der Einrichtungsstrategie Ihres Trägers? Ist allen Beteiligten in Ihrer Einrichtung bewusst, dass der Digitalisierungsprozess gewollt ist? Welche Ziele verfolgt Ihre Einrichtung mit dem Digitalisierungsprozess? Gibt es konkrete und transparente Pläne, Strategien oder Konzepte zur Umsetzung des Digitalisierungsprozesses bei Ihrem Träger? Sind die Ziele und Grundsätze der Digitalisie- rungsstrategie Ihnen und allen Mitarbeitenden bekannt? Sind Ihnen alle am Prozess beteiligten Perso- nen(-kreise) sowie ihre Interessen bekannt? Gibt es Ihrer Ansicht nach Personen, die den Digitalisierungsprozess bremsen? 15

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Digitalisierung auf institutioneller Ebene Digitalisierung auf institutioneller Ebene „Bei uns macht jede Fachkraft in der Hilfegestaltung ihr eigenes Ding mit digitalen Medien, je nach Vorlieben und Wissen. Ich selbst habe wenig Ahnung von Tech- nik und finde neben den vielen Alltagsthemen sowieso keine Zeit, mich mit der Digitalisierung zu beschäfti- gen. Das ist einfach zu viel Mehraufwand und die ent- sprechenden Geräte habe ich auch nicht zur Hand.“ (Thomas, 46, sozialpädagogische Familienhilfe) Um dem professionellen Auftrag in digital geprägten Zeiten nachkommen zu können, reicht die Bereitschaft einzelner Fach- kräfte nicht aus. Benötigt wird eine strukturelle Verankerung der notwendigen Veränderungen und Voraussetzungen zum medienpädagogischen Arbeiten auf institutioneller Ebene. 16

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Digitalisierung auf institutioneller Ebene → Medienbildung der Fachkräfte Der pädagogische Einsatz digitaler Medien setzt Wissen und Fähigkeiten voraus, um diese bedienen und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen zu können. Diese Kompetenzen sind als zukunftsoffen zu betrachten, da sie sich nach den aktuellen digitalen Entwicklungen in der Gesellschaft richten. Als Mindest- maß sollten dem Handlungsfeld entsprechende digitale Basis ompetenzen, wie Office-Anwendungen und digitale Dokumen- tationstools, bereits beim Einstieg neuer Fachkräfte vorhanden sein oder vermittelt werden. Regelmäßige Schulungen, Peer- to-Peer-Angebote und Weiterbildungen zu digitalen Themen, die einen konkreten Bezug zur Arbeitspraxis der teilnehmenden Fachkräfte herstellen, sollten vom Träger bereitgestellt und kon- zeptionell verankert werden. Ziel ist die Vermittlung grundlegen- der (IT-)Kompetenzen und die Förderung der Medienbildung von Fachkräften, um in digital geprägten Welten handlungs- und problemlösungsfähig zu sein: die Adressat:innen bestmöglich be- gleiten zu können. Die Bereitschaft zur Weiterbildung sollte durch die Identifikation mit der professionellen Haltung und dem Leitbild der Einrichtung gegeben sein. → Digitale Ausstattung Eine Voraussetzung für medienpädagogisches Arbeiten entlang des Teilhabe-, Befähigungs- und Schutzauftrags ist die Bereit- stellung von technischer Ausstattung im Praxisalltag. Dazu ge- hören dem Handlungsfeld entsprechende Hard- und Software sowie Internetzugang. Träger und Kostenträger müssen dies als Standard für professionelles Arbeiten im digitalen Zeitalter mit- einrechnen. Eine dienstliche Ausstattung beugt außerdem Abgrenzungsschwierigkeiten zum Privatleben vor, die durch mo- biles Arbeiten entstehen können. Im Optimalfall gibt es ein- richtungsübergreifende Vorgehen und einheitliche Standards. Beispielsweise kann digitalen Kommunikationsproblemen ent- gegengewirkt werden, indem dieselben Tools bzw. Software ge- nutzt werden. Zudem benötigt es regelmäßige Einführungen und praxisnahe Anleitungen zum sicheren Umgang mit neuer Aus- stattung. → IT-Support Pädagogische Fachkräfte sind nicht für IT-Aufgaben zuständig, sondern benötigen zusätzlichen IT-Support, um medienpädago- gisch gut arbeiten zu können. Empfehlenswert ist es, den ein- richtungsinternen oder trägerweiten IT-Support zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen sowie prozessbezogen einzu- beziehen. Beispielsweise sollte die IT bei der Planung pädago- gischer Angebote mit digitalen Bezügen in die Ausgestaltung hinzugezogen werden. Einfache Wege zu verantwortlichen IT- Stellen sind aufzuzeigen. → Eine Frage der Ressourcen? Medienpädagogisches Arbeiten bedarf neben der digitalen Ausstattung auch weiterer Ressourcen, die vom Kostenträger und der Einrichtungsverwaltung anerkannt werden müssen. Ins- besondere die personellen und zeitlichen Ressourcen haben ei- nen großen Einfluss auf die Qualität der professionellen Arbeit mit Medien. Das Erlernen digitaler Tools durch selbstständiges Aus- probieren und die Beschäftigung mit digitalen Trends erfordern zusätzliche zeitliche Ressourcen, die den Fachkräften auf insti- tutioneller Ebene eingeräumt werden müssen. Der Ressourcen- mangel darf den professionellen Auftrag nicht behindern und kann nicht als Ausrede für ein Ausbleiben des Digitalisierungs- prozesses benutzt werden. Hier braucht es gesetzliche Veran- kerungen, langfristige Fördermöglichkeiten und veränderte Re- finanzierungslogiken. Um dies sicher zu stellen, müssen soziale Träger sowie ihre Dachverbände die Notwendigkeit einer digita- len Transformation hervorheben und entsprechende Strukturen auch auf politischer Ebene einfordern. → Medienkonzeption Eine Konzeption, welche die Dimensionen Befähigung, Teilhabe und Schutz in digital geprägten Welten aufgreift, beschreibt in erster Linie den Weg einer Einrichtung, um das Ziel von Chancen- gleichheit zu erreichen. Die wichtigsten Inhalte dieser Konzeption sind einheitliche Grundsätze, Zielvorstellungen der Einrichtung, Planung und Gestaltung der Zielerreichung sowie erforderliche Umsetzungsschritte unter Betrachtung der benötigten Ressour- cen. Eine Medienkonzeption zielt weniger auf das ausgearbeite- te Dokument, sondern mehr auf den Prozess einer reflektierten Auseinandersetzung unter Einbezug aller Beteiligten: Fach- kräften und Adressat:innen. Der Prozess steht für eine stetige Weiterentwicklung der Einrichtung entlang gesellschaftlicher Veränderungen sowie für die Entwicklung einer professionellen Grundhaltung, welche Umsetzung in der praktischen Arbeit findet. → Beteiligungsstrategie Beteiligung benötigt eine Strategie, denn nicht das Werkzeug schafft Beteiligung, sondern der Rahmen. Es ist Aufgabe der Fach- kräfte, die individuellen Bedarfe im dialogorientierten Adressat: innenkontakt herauszufinden und an die verantwortlichen Stel- len mit Leitungs- und Steuerungsfunktion weiterzugeben. Dafür müssen Strukturen, welche diese Durchlässigkeit ermöglichen, geschaffen und transparent gemacht werden. Für eine betei- ligungsfreundliche Struktur müssen sich sowohl Leitungskräfte als auch Fachkräfte mit der Abgabe von Verantwortung ausein- andersetzen und diese zulassen. → Datenschutz Soziale Einrichtungen tragen auch im Umgang mit Daten eine soziale Verantwortung, da sie häufig besonders sensible Daten erhalten. Vulnerable Gruppen sind nicht immer selbst in der Lage, sich zu schützen und für ihre Rechte einzustehen. Eine Einrich- tung, die mit benachteiligten Menschen arbeitet, sollte sich im Klaren darüber sein, wie sie selbst datenschutzkonform kommu- nizieren und arbeiten kann, um somit der Reproduktion von Un- gleichheiten entgegenzuwirken, welche zum Beispiel durch die Nutzung ungeeigneter Tools verstärkt werden kann. Gerade in der Nutzung von Metadatenproduzierender Software können im Kontext Sozialer Arbeit große Risiken für vulnerablen Gruppen entstehen. → Lernkultur Die Schaffung einer Lernkultur ist wichtig, um kreative Umset- zungen und nachhaltige Lernprozesse anzustoßen und auch Fachkräfte mit einer zurückhaltenden oder bewahrenden Ein- stellung gegenüber Digitalisierungsprozessen einzubeziehen. Mit Fehlern und Misserfolgen sollte konstruktiv umgegangen werden. Dies gilt auch für die Hilfegestaltung. 17

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Digitalisierung auf institutioneller Ebene Reflexionsfragen Welche Angebote zur Medienbildung werden den Fachkräften in Ihrer Einrichtung zur Verfü- gung gestellt? Gibt es bei Ihrem Träger Möglichkeiten, die Fachkräfte dienstlich mit digitalen Endgeräten auszustatten? Können alle Fachkräfte in Ihrer Einrichtung mit der zur Verfügung gestellten Hard- und Soft- ware umgehen? Welche Personen ziehen Sie bei technischen Fragen und Problemen heran? Sind die Konzeptionen der einzelnen Angebote auf das digitale Zeitalter angepasst? Welche Beteiligungsstrukturen zum Thema Digitalisierung und Medienpädagogik gibt es für Fachkräfte und Adressat:innen bei Ihrem Träger? In welchen Bereichen kann eine Zusammen- arbeit mit anderen Einrichtungen oder Trägern aufgebaut bzw. verstärkt werden, sodass Me- dienbildung gefördert, Synergie hergestellt und Ressourcen gespart werden kann? → Abteilungs- und organisations- übergreifende Zusammenarbeit Auf institutioneller Ebene muss der digitale Wandel in Einrich- tungen begleitet werden. Dazu sind verschiedene Arbeitsbe- reiche – auch trägerübergreifend – zu verknüpfen. Wichtig sind gemeinsame Zielsetzungen und Aufgabenklärungen, damit mög- lichst effizient mit Ressourcen und Arbeitsabläufen umgegangen werden kann. Durch Ko-Produktionsprozesse und effiziente Zu- sammenarbeit kann die Hilfegestaltung bestmöglich auf die Be- darfe der Adressat:innen ausgerichtet werden. Medienbildung muss als Bildungspartnerschaft zwischen dem Individuum und dessen Bildungsinstanzen wie Schule, Familie und Jugendhilfe- einrichtung verstanden werden. Die Familien- und Elternarbeit gilt hierbei als so zentral, dass in diesem Bereich viele Unterstütz- ungsleistungen angeboten werden sollten, zum Beispiel zur Ver- mittlung digitaler Alltagskompetenzen. Eine erfolgreiche Medien- bildung kann nur durch eine gelingende Zusammenarbeit aller Akteur:innen erfolgen. Durch gegenseitige Lern- und Arbeits- prozesse können Synergien entstehen, zum Beispiel durch ge- meinsam entwickelte und durchgeführte Medienangebote für Adressat:innen und Fachkräfte. Zur besseren Vernetzung können digitale Tools wie Online-Meetings oder geteilte Plattformen hilfreich sein. Good-Practice-Beispiel Die Paulinenpflege Winnenden e.V. setzt auf eine breite Verankerung des Themas auf institutioneller Ebene: „Wir fokussieren uns mithilfe einer Digitalisierungs- strategie auf ein unternehmensweites Vorgehen. Ne- ben der Stärkung von digitalen, klientenfokussierten Projekten innerhalb der neun Geschäftsbereiche un- terstützen wir die Umsetzung der Strategie durch zen- trale Maßnahmen. Zum Beispiel werden Mitarbei- tenden zum Kennenlernen neuer Tools Lernräume und Schulungen bereitgestellt. Die frühe Einbindung der IT und der Austausch über die gesetzten Ziele er- möglicht das frühzeitige Erkennen und Beseitigen von technischen und organisatorischen Herausforde- rungen. Durch einen halbjährlichen Austausch der Digi- talisierungsverantwortlichen aus allen Bereichen können Synergien zu Zielen und Projekten genutzt werden. Die Gestaltung und Umsetzung einer medienpädagogi- schen Konzeption ist nun der nächste Schritt in Rich- tung wechselseitiger Medienbildung. Im Sinne eines Pilotprojektes geht die Kinder- und Jugendhilfe diesen Schritt an und entwickelt eine Medienkonzeption, so dass die anderen Geschäftsbereiche sich an den gelungenen Prozessen orientieren können“, erklärt Mareike Bornschein aus der Unternehmensentwick- lung der Paulinenpflege Winnenden e.V. 18

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Arbeit mit Adressat:innen Arbeit mit Adressat:innen „Ich wohne in einer Wohngruppe mit anderen Jugendli- chen zusammen, ziemlich auf dem Land. Als der Lock- down kam, hatten wir nur einen Laptop zur Verfügung. Das ist richtig schwer gewesen im Homeschooling. Jetzt finde ich es auch noch nicht gut: das WLAN wird um 21 Uhr abgeschaltet und wenn ich mal Mist baue, wird mir das Handy weggenommen. Das finde ich nicht in Ordnung! Der Kontakt zu meinen Freunden und mei- nem Bruder ist mir richtig wichtig und ohne Handy geht das nicht.“ (Maik, 14, vollstationäre Wohngruppe) Primäres Ziel der Auseinandersetzung in der Sozialen Arbeit mit der Digitalisierung ist es, Teilhabe zu ermöglichen. Gesellschaft- liche Teilhabe meint immer auch digitale Teilhabe: in, an und durch Medien. Für Fachkräfte ergibt sich die Aufgabe, junge Menschen in ihrem Medienhandeln zu begleiten und zu befähigen, um sie so in ihrer Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Teilhabe an einer digital geprägten Gesellschaft zu stärken, aber auch vor Gefahren zu schützen. Unreflektierte Reglementierungen führen zu verstärkten Benachteiligungen sowie beschränkten Teilhabe- möglichkeiten am Leben in einer digital geprägten Gesellschaft. 19

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Arbeit mit Adressat:innen → Teilhabe, Schutz und Befähigung Im Zentrum dieses Dreiklangs steht die Teilhabe als Hauptauftrag. Teilhabe meint das Einbezogensein in Lebenssituationen und setzt das Vorhandensein von notwendigen Ressourcen voraus, die von den Individuen wahrgenommen und genutzt werden können – auch in digitalen Welten. Die Befähigungs- und Schutz- aufträge müssen gemeinsam mit allen Beteiligten betrachtet werden, um den jungen Menschen eine gleichberechtigte Teil- habe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei geht es einerseits um die Förderung und Befähigung zu einem selbst- bestimmten, kritischen und kompetenten Medienhandeln und andererseits um den Schutz vor Gefahren im Umgang mit digitalen Medien. Der Schutzauftrag beinhaltet auch einen Bildungsauf- trag im Sinne des Selbstschutzes. Durch die Auseinandersetzung mit Chancen und Risiken der Digitalisierung werden die Adressat: innen in ihrer Handlungsfähigkeit und Eigenverantwortung ge- stärkt und erwerben digitale Problemlösekompetenzen. Ein erster Schritt zur Teilhabegerechtigkeit ist das Aufdecken von Teilhabebarrieren und Exklusionsprozessen, um Benachteili- gungen entgegenzuwirken. Die Fachkräfte übernehmen hierbei eine anwaltschaftliche Rolle, um die Bedarfe der Adressat:innen zu vertreten. Im oben erwähnten Dreiklang stehen Fachkräfte somit vor der Herausforderung einer stetigen Abwägung in der Unterstützung der Adressat:innen: wann ist Schutz, gegebenenfalls auch im Sinne einer Beschränkung, wann Befähigung und wann die Her- stellung von Teilhabechancen gewichtiger einzuschätzen. Warum Befähigung anstatt Förderung? In dieser Handreichung haben wir den Dreiklang aus För- derung, Schutz und Teilhabe konsequent auf Befähigung, Schutz und Teilhabe umgestellt. Befähigung bezieht sich auf einen Co-Produktionsprozess zwischen Lehrendem und Lernenden – wobei sich sowohl Fachkräfte als auch Adres- sat:innen in diesen Rollen wiederfinden können. Förderung vermittelt jedoch: Fachkräfte sind Expert:innen der Digita- lisierung und lehren den Adressat:innen den richtigen Um- gang mit Medien. Im Rahmen der digitalen Transformation sind aber beide Parteien als Lernende zu betrachten. → Adressat:innen- und Lebensweltorientierung Die Adressat:innen in den Fokus der Betrachtung zu nehmen, setzt die Klärung ihrer persönlichen Bedarfe, Ausgangslagen und Zugänge voraus. Dazu braucht es einen Blick auf das Zu- sammenspiel von Analog und Digital, anstatt eine Grenze da- zwischen zu ziehen. Dadurch können individuelle Chancen und Ressourcen einer Lebenswelt aufgegriffen und passgenaue Zu- gänge in Zeiten der Digitalisierung geschaffen werden. Selbst- wirksamkeitserfahrungen können unterstützt und ein gelingen- des Aufwachsen mit digitalen Medien ermöglicht werden. Zur Medienkompetenz von Fachkräften gehört demnach auch be- darfs- und kontextbezogen zu entscheiden, ob den „traditionel- len“ Methoden, wie zum Beispiel dem persönlichen Kontakt oder neuen digitalen Methoden, wie zum Beispiel dem Austausch mittels eines Chats, der Vorrang gegeben werden sollte. Digi- tale Medien sollten von Fachkräften in ihrer Planung und Um- setzung immer einbezogen und bedacht werden. Sie müssen entscheiden, wann, wie und wo Medien eigene Angebote unter- stützen können um diese kinder- und jugendgerechter, kreativer, barrierefreier, niedrigschwelliger und beteiligender zu gestalten. Verstehen statt Bewerten: Die stetige Reflexion des eigenen Auftrags, der eigenen Profession und der eigenen Haltung durch die Fachkräfte bleibt hierbei unerlässlich. Vor allem wenn unterschied- liche Medienbiografien und Generationen aufeinander- treffen, ist es wichtig offen für die medienpädagogischen Bedürfnisse junger Menschen zu bleiben und diese nicht abzuwerten, sondern nach den dahinterliegenden Motiven zu fragen. → Beteiligung digital gestalten Beteiligung kann gelingen, wenn Adressat:innen in ihrer Lebens- welt agieren können – dort angesprochen und abgeholt werden. Lebenswelt bedeutet für junge Menschen auch digitale Lebens- welten wie zum Beispiel Messenger Dienste, Social Media Platt- formen und Podcasts. Es geht also darum, Beteiligungsmöglich- keiten auch digital zu schaffen. Digitale Formen der Beteiligung können einen Abbau von Barrieren begünstigen und Zugänge zu bislang unerreichbaren oder schwer erreichbaren Personen er- öffnen. Gleichzeitig bieten digitale Technologien zum Beispiel in sozialen Netzwerken die Möglichkeit, die digital geprägte Lebens- welt aktiv mitzugestalten. Das Schaffen von digitalen Beteili- gungsmöglichkeiten ist somit Grundvoraussetzung für die Ermög- lichung von digitaler Teilhabe und stellt damit einen elementaren Bestandteil in der Arbeit mit Adressat:innen dar. Ziel ist es, Struk- turen und Angebote zu schaffen, welche die jungen Menschen in ihren Lebenswelten abholen. Dafür benötigen Fachkräfte einen Blick für die Herausforderungen und Bedarfe ihrer Adres- sat:innen im digitalen Wandel, ein Bewusstsein über die Bedeu- tung von Teilhabe und Beteiligung sowie grundlegende Kompe- tenzen in der Medienbildung. Beteiligung verstehen Beteiligungsprozesse gehen immer mit Verantwortungs- abgabe seitens der Machtträger:innen einher. Gleichzeitig wird den zu beteiligenden Personen Verantwortung über- tragen. Beteiligung kann demnach unterschiedlich ge- staltet und definiert werden. Im pädagogischen Sinne ist es entscheidend, „dass Kinder und Jugendliche in allen für sie relevanten Lebensbereichen die Erfahrung machen können, dass sie ihre Fragestellungen, Probleme und Inte- ressen in angemessener und wirksamer Form artikulieren und in Entscheidungen einbringen können“ (Bestandsauf- nahme des Sozialministeriums BW im Rahmen des Zu- kunftplan Jugend, 2015). Hierbei wird auch von Partizipation als das aktive Mitge- stalten und Mitbestimmen von Entscheidungsprozessen im gemeinschaftlichen Zusammenhang gesprochen. Infor- mation, Anhörung, Mitwirkung und Einbeziehung ist noch keine Partizipation. Beteiligung muss erlernt und individuell gelebt werden können, weshalb Strukturen zur Beteiligung und Verantwortungsübertragung geschaffen werden müs- sen. Hilfreich kann die Kopfstandmethode sein, bei der die Frage gestellt wird, was getan werden muss, damit Beteili- gung nicht funktioniert. 20

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Arbeit mit Adressat:innen Reflexionsfragen Besteht bei Ihrem Träger Klarheit darüber, was benötigt wird, um digitale Teilhabe herstellen zu können: welche Bedingungen müssen erfüllt werden? Was benötigt es Ihrer Ansicht nach, dass Teilhabe und Beteiligung in Ihrer Einrichtung NICHT funktioniert? Wo wird den Adressat:innen Teilhabe und Beteiligung verwehrt? Welche digitalen Beteiligungsformate gibt es in Ihrer Praxis? Ist in Ihrer Einrichtung allen Fachkräften bewusst, was der Auftrag zur Teilhabe am Leben in einer digital geprägten Welt beinhaltet? Welche Konzepte und Methoden gibt es bei Ihrem Träger, um medienpädagogisches Arbei- ten in Ihrer Einrichtung zu fördern bzw. sicher- zustellen? Sind Ihnen und Ihren Kolleg:innen die digitalen Bedarfe und Interessen der Adressat:innen bekannt? Welche Netzwerke können Ihrer Ansicht nach genutzt oder geschaffen werden, um die digitale Beteiligung und Medienbildung der Adressat:in- nen zu unterstützen? → Medienpädagogische Angebote Die sozialpädagogischen, schulischen und beruflichen Angebo- te zur Medienbildung müssen sich an den Bedarfen der Adres- sat:innen ausrichten und so gestaltet werden, dass Bildungsräu- me eröffnet werden. Das bedeutet, den Adressat:innen werden Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit digitalen Medien eingeräumt, welche sich gleichwohl auf die Chancen und Risiken der Digitalisierung sowie auf neue Entwicklungen beziehen. Die Inhalte decken die Anforderungen einer digital geprägten Welt ab, um Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen und Selbstschutz zu gewährleisten. Dazu gehören Kompetenzen in der Medienkritik, welche präventiven Charakter haben, digitale Alltagskompetenzen, wie zum Beispiel das Stellen von Online-An- trägen oder die Nutzung von EDV-Programmen sowie auch Spezi- alkompetenzen, wie die kreative Nutzung, Gestaltung und Selbs- tdarstellung auf Social Media Plattformen. Den Adressat:innen soll ein sicherer, aber offener Rahmen zum Ausprobieren zur Verfügung gestellt und auf die Stärkung von Beteiligung und Unterstützung auf Augenhöhe gezielt werden. Angebote werden besser angenommen, wenn sich die jungen Menschen selbst an der Gestaltung und Umsetzung medienpädagogischer Ange- bote beteiligen können und diese Aspekte des peer-to-peer Ler- nens beinhalten. Für eine nachhaltige Vermittlung von Medien- kompetenzen ist für die Beteiligten ein subjektiver Nutzen oder eine damit einhergehende Erleichterung wichtig. Good-Practice-Beispiel Die Evangelische Jugendhilfe Friedenshort gGmbH, Region Süd hat sich schon 2018 im Rahmen des ajs Projektes MeKoH auf den Weg gemacht, eine medien- pädagogische Konzeption zu erarbeiten. „Es ging uns darum, eine gelebte Medienbildung zu etablieren und diese in einer Medienkonzeption niederzuschreiben. Hierzu gründeten wir eine Aktionsgruppe Medien, wel- che sich aus Mitarbeitenden verschiedener Arbeitsfel- der und unterschiedlicher Funktionen zusammensetz- te. Der Beteiligung junger Menschen und deren Eltern wurde eine bedeutende Rolle eingeräumt. Ziel dieser Aktionsgruppe war und ist es bis heute, alle Bedarfe der jungen Menschen, der Gruppen und der Mitarbei- tenden zu bündeln, gemeinsam notwendige Schritte zu gehen und entsprechende Prozesse anzuregen. Mit der Konzeption haben wir ein Medium geschaffen, wel- ches beständig angepasst wird und allen Teams zur Verfügung steht. Es dient als Orientierungshilfe und macht Aussagen zu Rahmenbedingungen und Erwar- tungen an unsere Fachkräfte in der Jugendhilfe. Kon- tinuierliche Qualifizierungsangebote und Austausch- runden halten das Thema präsent und ermöglichen es den Mitarbeitenden ausreichend Handlungskompe- tenzen zu gewinnen. So können wir unserem Auftrag gerecht werden und junge Menschen befähigen sich sicher und verantwortungsbewusst in einer digitalen Welt zu bewegen“, so die stellvertretende Regionallei- terin Cordula Bächle-Walter. 21

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Fazit Fazit Die digitale Transformation ist jetzt! Wir leben in einer mediati- sierten Gesellschaft mit Auswirkungen auf unsere kulturellen und sozialen Praktiken: junge Menschen unterscheiden nicht mehr zwischen realen und virtuellen Lebenswelten. Beides ist für sie Wirklichkeit und prägt ihr Aufwachsen, die Art wie sie sich ihre Welt zu eigen machen, diese gestalten und ihre Identität und Persönlichkeit ausbilden. Durch diese Entwicklung ergeben sich Chancen und Herausforderungen für das Aufwachsen junger Menschen. Will die Kinder- und Jugendhilfe ihrem Mandat im Sinne der Herstellung von Teilhabe und Schutz gerecht werden, muss sie junge Menschen befähigen, sich in ihrer neuen Umwelt gelingend, kreativ und sicher zu bewegen. Kinder- und Jugend- hilfe muss junge Menschen dabei unterstützen, Chancen der digitalen Welt zu nutzen. Über die konkrete Begleitung hinaus bedeutet dies auch anwaltschaftlich aufzutreten und aufzuzei- gen, wo Barrieren eine Teilhabe verhindern oder schon vorhan- dene Benachteiligungen im digitalen Raum reproduziert werden. Dazu gehört es, Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes digi- taler Medien unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrech- te junger Menschen zu prüfen. Dabei gilt es, sich konsequent an den Bedarfen der Adressat:innen auszurichten. So entsteht eine passgenaue und klar subjektorientierte Ausgestaltung der Hilfe im Einzelfall. Mangelnde Ressourcen – personell, finanziell und hinsichtlich der Ausstattung – sind definitiv gegeben und beschäftigen viele Träger, dürfen jedoch die gelingende Beglei- tung und Befähigung junger Menschen nicht bremsen. Diesem Auftrag können wir uns vor dem Hintergrund der digitalen Trans- formation nicht mehr entziehen. Im Gegenteil, die Kinder- und Jugendhilfe muss dazu übergehen den Transformationspro- zess gemeinsam, aktiv und als Angehörige der Profession mit- zugestalten. Kein Träger muss diesen Weg alleine gehen: eine trägerübergreifende und interdisziplinäre Kooperation kann Sy- nergien und ein neues Verständnis des Auftrags Sozialer Arbeit in digitalisierten Lebenswelten entstehen lassen. Dieses neue Verständnis kann Basis für ganz unterschiedliche Umsetzungs- wege der Träger sein. Denn: zur Umsetzung des Auftrages gibt es nicht den einen Weg und auch keine standardisierten Kon- zepte. Wichtig ist es, jetzt den ersten Schritt zu gehen! 22

Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Literatur / Quellen Literatur / Quellen Für die Erstellung dieser Handreichung wurde folgende Links und Lite- ratur als Quellen herangezogen. Diese möchten wir hiermit ausdrück- lich zur Vertiefung des Themas empfehlen: Bliemetsrieder, S. & Dungs, S. (2012). Kindheit in der Funktionale: Ambiva- lenzen ihres Wandels in disziplinären und professionellen Perspektiven (1. Auflage), Peter Lang Verlag Ketter, V. (2014). Das Konzept ‚vireale Sozialraumaneignung‘ als konstitutive Methode der Jugendarbeit. In: Deinet U. und Reutlinger C. (Hrsg.). Tätigkeit – Aneignung – Bildung: Positionierungen zwischen Virtualität und Gegenständ- lichkeit (1. Auflage), Springer VS Kutscher, N. & Ley, T. (2015). Mediatisierung (in) der Sozialen Arbeit (1. Auflage), Schneider Verlag Hohengehren GmbH Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2017). 15. Kinder- und Jugendbericht: Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland (1. Auflage), Bonifatius GmbH URL: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/115438/d7e- d644e1b7fac4f9266191459903c62/15-kinder-und-jugendbe- richt-bundestagsdrucksache-data.pdf [Stand: Februar 2012, abgerufen am 09.11.2022] Chammas, L. & Schernhammer, J. (2022). Digitalisierung, Bildung und Teil- habe in der Kinder- und Jugendhilfe (Masterarbeit). [PDF] Digipäd 24/7 (2022). Das Recht junger Menschen auf analog-digitale Teilhabe verwirklichen: Empfehlungen für stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Internate (1. Auflage), TH Köln und Universität Hildesheim, Universitätsverlag URL: https://digipaed24-7.de/handlungsempfehlungen/ [abgerufen am 05.08.2022] Digipäd 24/7 (2022). Das Recht junger Menschen auf analog-digitale Teilhabe verwirklichen: Ergänzende Rechtsinformationen (1. 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Digitalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe Impressum Impressum Diese Veröffentlichung entstand im Rahmen des EU-geförderten Projektes „DABe:I – Digitale Alltagskompetenz und Beteiligung inklusiv denken“ in Zusammenarbeit folgender Träger: Aufbaugilde Heilbronn gGmbH Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e.V., Abteilung Kinder, Jugend und Familie eva Heidenheim gGmbH Hochdorf – Evang. Jugendhilfe im Kreis Ludwigsburg e.V. fobi: aktiv gGmbH, eine Tochter der Stiftung Jugendhilfe aktiv Stiftung Karlshöhe Ludwigsburg Herausgeber: Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e.V. Heilbronner Str. 180 70191 Stuttgart Konzeption und Projektkoordination: Janet Geltz Autorinnen: Janet Geltz (Projektkoordination) Julia Schernhammer (wissenschaftliche Begleitung) Grafik und Design: www.bureau-progressiv.com Erscheinungsjahr: Dezember 2022 Erscheinungsort: Stuttgart 24