Ernste Bemühungen und offene Baustellen
Ein Jahr grün-schwarze Landesregierung – eine sozialpolitische Bilanz
Stuttgart/Karlsruhe/Freiburg, 9. Mai 2022. Caritas und Diakonie in Baden-Württemberg fordern von der Landespolitik mehr Einsatz bei der Umsetzung der sozialpolitischen Ziele aus dem Koalitionsvertrag. Knapp ein Jahr nach der Unterzeichnung des Vertrags mit dem Titel „Jetzt für morgen – der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg“ durch die Koalitionäre und heutigen Regierungspartner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU seien noch nicht alle versprochenen Wege begonnen worden, um den erforderlichen Umbruch und Wandel so zu gestalten, „dass er möglichst allen Menschen im Land dient“. Gleichzeitig sehe man Bewegung und Bemühungen in vielen Arbeitsfeldern, sagten die Vorständinnen und Vorstände von Diakonie und Caritas heute vor Medienvertreter*innen. Dies werte man als gutes Zeichen. Als gesamtgesellschaftlich besonders dringlich benannten die vier kirchlichen Wohlfahrtsverbände die Themen Armut, Migration, Wohnen und Pflege.
Diözesan-Caritasdirektorin Dr. Annette Holuscha-Uhlenbrock, Vorständin des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart, forderte deutlich mehr Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut in Baden-Württemberg. Die Lebenslage für von Armut betroffene Menschen in Baden-Württemberg habe sich auch im ersten Regierungsjahr von Grün-Schwarz nicht verbessert, so Holuscha-Uhlenbrock. "Hinzu kommt der Ukraine-Krieg, der ärmere Menschen durch Teuerungen ganz besonders belastet. Sie haben keinen Puffer", resümierte die Caritasdirektorin. Trotz dieses Defizits seien Maßnahmen wie das Paket „STÄRKER nach Corona“ und der Ausbau von Präventionsnetzwerken positiv hervorzuheben.
Der Bereich Flucht und Migration erfahre zurzeit eine hohe Aufmerksamkeit aufgrund der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine, so Oberkirchenrat Urs Keller, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Baden. „Schon im vergangenen Jahr waren die wichtigen Eckpfeiler für die Politik klar. Diese müssen jetzt prioritär behandelt werden. Nachhaltige Lösungen sind erforderlich. Langfristig werden so Strukturen für eine effektive Integration geschaffen´." Keller betonte, dass gute Integrationskonzepte und Ansätze gerade im Licht der aktuellen Flüchtlingssituation gestärkt werden sollten.
„Die Wohnungsfrage ist zu einer zentralen Frage sozialer Gerechtigkeit geworden. Alle Menschen mit ausreichendem und menschenwürdigem Wohnraum zu versorgen, ist deshalb eine herausragende sozialpolitische Aufgabe", erklärte Oberkirchenrätin Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, in ihrem Statement zum Themenfeld Wohnen. Der Koalitionsvertrag nenne Housing-First-Modellprojekte als Lösungsansatz. Diese seien aus Sicht der Wohlfahrtsverbände jedoch keine alleinige Lösung, um die Wohnungslosigkeit zu bekämpfen. Diakonie und Caritas forderten vielmehr eine neue soziale Wohnraumpolitik. Eine Hinwendung zu Mehrgenerationenhäusern sowie eine verpflichtende Quote zur Schaffung von Sozialwohnraum sei geboten.
Unter dem Leitsatz „Die Pflege zukunftssicher machen" mahnte Diözesan-Caritasdirektorin Birgit Schaer, Vorständin des Caritasverbandes für die Erzdiözese Freiburg, die Aufrechterhaltung der Gesundheits- und Pflegeinfrastruktur an. „Durch die vergangenen zwei Jahre ist diese Verlässlichkeit und Funktionstüchtigkeit empfindlich belastet worden", so die Diözesan-Caritasdirektorin. Wichtig sei eine zukunftssichere Gestaltung der Gesundheits- und Pflegestrukturen. Von der Politik erwarte man eine Fachkräfteoffensive für Sozial- und Gesundheitsberufe.
Insgesamt seien in allen Handlungsfeldern Entwicklungen im Rahmen der Versprechen des Koalitionsvertrags zu sehen, so die vier kirchlichen Wohlfahrtsverbände. Man erwarte gleichzeitig, dass offene Zusagen eingehalten werden. Dazu sei an mancher Stelle noch deutlich mehr Engagement nötig. Die Wohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg stünden dabei als Impulsgeber und Diskussionspartner bereit. Man sehe das Potenzial, dass in dieser Legislaturperiode noch gemeinsam mit den Regierungsparteien wichtige Wege für ein sozial gerechteres Baden-Württemberg eingeschlagen werden könnten.