Pflege – Unsere Forderungen und Bewertung des Koalitionsvertrags

Pflege ist für die Gesellschaft systemrelevant. Das ist eine der Lehren aus der Corona-Krise. Aber die Krise hat auch Schwachstellen im Pflegesystem offenbart. Zur Behebung dieser Schwachstellen sind in Baden-Württemberg Anpassungsmaßnahmen notwendig. Denn Pflegebedürftige, Angehörige und Leistungserbringer brauchen dringend Unterstützung u.a. in folgenden Bereichen:

1. Pflegerische Infrastruktur

Einrichtungen und Dienste der Altenpflege müssen künftig in den Pandemieplänen des Landes schon bei der Planung berücksichtigt werden. Wirtschaftliche Betriebsführung muss möglich sein. Dazu bedarf es angemessener Rahmenbedingungen. Wege- und Fahrtzeiten bei der ambulanten und teilstationären Versorgung müssen vollständig refinanziert werden. Dasselbe gilt für die Pflegeprozessbegleitung, Pflegeberatung und Case-Management. Und auch die quartiersbezogenen und sozialraumorientierten Aktivitäten der Pflegeunternehmen brauchen Förderung und Finanzierung.

Bewertung Koalitionsvertrag 2021-2026

Im Koalitionsvertrag findet sich kein Bezug zur Forderung der Diakonie Baden-Württemberg, Einrichtungen und Dienste der Altenpflege künftig in den Pandemieplänen des Landes schon bei der Planung zu berücksichtigen. Auch dass es für eine wirtschaftliche Betriebsführung angemessene Rahmenbedingungen braucht, wird nicht erwähnt. Dasselbe gilt für die Pflegeprozessbegleitung, Pflegeberatung und Case-Management. Auch dass die quartiersbezogenen und sozialraumorientierten Aktivitäten der Pflegeunternehmen Förderung und Finanzierung brauchen, bleibt unerwähnt.

2. Innovationsförderung und Ermöglichungskultur

Gesetzliche Anforderungen müssen den praktischen Alltag widerspiegeln. Das Zusammenspiel ordnungs- und leistungsrechtlicher Vorgaben ist deshalb auf den Prüfstand zu stellen. Bedarfsgerechte Angebote müssen möglich sein und dürfen nicht an starren rechtlichen Rahmenbedingungen scheitern. Deshalb müssen die Erbringer von Dienstleistungen Spielräume ausloten können, die der rechtliche Rahmen für die Erbringung von Dienstleistungen vorgibt. Behörden, Kostenträger und Leistungserbringer sollen Mut und Willen aufbringen, Innovatives zu ermöglichen und zu erproben. Die auf politischer Ebene viel zitierte „Ermöglichungskultur“ ist de facto umzusetzen.

Bewertung Koalitionsvertrag 2021-2026

Bedarfsgerechte Angebote müssen möglich sein und dürfen nicht an starren rechtlichen Rahmenbedingungen und sektoralen Grenzen scheitern, so die Forderung der Diakonie Baden-Württemberg. Von Gestaltungs- und Erprobungsspielräumen für die Leistungserbringer, Innovatives zu erproben, ist nichts zu lesen. Es fehlt auch das bisherige Innovationsprogramm Pflege, das sich jedoch nur auf bereits bestehende Versorgungsstrukturen bezog. Auch ein Innovationsbudget ist nicht aufgenommen.

Gespräch mit Beatrix Vogt-Wuchter, Abteilungsleiterin "Alter, Pflege, Gesundheit" der Diakonie Baden, zu dieser Forderung:

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3. Arbeitsbedingungen und Gesundheit

Ambulante und stationäre Pflege stehen unter permanentem ökonomischem Druck. Tarifgebundene Einrichtungen und Dienste sind strukturell unterfinanziert. Das muss ein Ende haben. Die Landesregierung soll die Leistungsentgelte so gestalten, dass ein qualifiziertes Arbeiten mit dem dafür notwendigen Zeitaufwand möglich ist. Der Pflegeberuf muss attraktiv bleiben, gerade für junge Menschen. Schon deshalb ist es wichtig, dass die Pflegeberufereform und damit der Übergang zu einer generalistischen Pflegeausbildung auch auf Landesebene gelingt. Politik, Ausbildungsbetriebe und Schulen müssen hier gemeinsam unterwegs sein.

Bewertung Koalitionsvertrag 2021-2026

Die dringende Bitte der Diakonie, die Landesregierung möge dafür sorgen, dass der Pflegeberuf attraktiv bleibt, gerade für junge Menschen, ist angekommen. Auch dass die Pflegeberufereform und damit der Übergang zu einer generalistischen Pflegeausbildung auf Landesebene gelingt. Die Koordinierung der ausbildungsrechtlichen vorgeschriebenen Praxiseinsätze wird gesichert.

Die im Koalitinsvertrag beschriebenene finanzielle Übergangsregelung bis zur bundesrechtlichen Lösung der Schulgeldfreiheit sicherzustellen und die generalistische Pflegeausbildung durch eine Erhöhung der Ausbildungsplätze weiter zu stärken wird als ziehlführend bewertet.

Das Vorhaben, die einjährige generalistische Ausbildungswege zu fördern wird begrüßt, die Gestaltung der Rahmenbedingungen muss unter den Beteiligten abgestimmt sein.


Kommentierung einzelner Themen, die nicht in den Forderungen der Diakonie Baden-Württemberg enthalten waren:

Ambulante Pflege

Im Bereich der Pflege fehlt die Stärkung ambulanter Versorgungsstrukturen, pflegende Angehörige müssen stärker in den Blick genommen werden.

Blick auf Seniorinnen und Senioren insgesamt

Insgesamt sind die Belange von Senioren und älteren pflegebedürftigen Menschen weniger im Blick als bisher. Bei der Aufzählung der Menschen, die besonders unter der Pandemie leiden, werden Ältere nicht erwähnt. Dabei sind Vereinsamung und der Abbau von körperlichen und geistigen Ressourcen in dieser Altersgruppe besonders relevant.

Finanzierung stationäre Pflege

Zu begrüßen ist der Einsatz der Landesregierung für die Begrenzung der Eigenanteile in der stationären Pflege (Sockel-Spitze-Tausch).

Pflege auf Zeit

Sehr zu begrüßen: Kurzzeitpflege und Tages-/Nachtpflege sollen flächendeckend ausgebaut und weiterentwickelt werden.

Quartier

Zu begrüßen ist der Quartiersgedanke und die sektorenübergreifende Versorgung – dabei sollte die Gewinnung und Qualifizierung von ehrenamtlichen Mitarbeitenden eine wichtige Rolle spielen, auch wenn es um Betreuung von Menschen mit Demenz geht.

Digitalisierung

Die Förderung der Digitalisierung ist in der Pflege ist wichtig: sie muss niederschwellig umgesetzt werden und für alle Altersgruppen zugänglich sein. Die im Koalitionsvertrag beschriebenen Maßnahmen zur Digitalisierung in der Pflege werden begrüßt. Das Landeskompetenzzentrum leistet hierzu einen wertvollen Beitrag. Allerdings dürfen sich die Bemühungen nicht nur auf die Langzeitpflege fokussieren, der Blick muss ganzheitlich auf die Pflege gerichtet werden. Ganz im Sinne einer wechselseitigen Interdependenz zwischen den Sektoren, um deren Grenzen zu überwinden.

Betreuungskräfte

Für Betreuungskräfte in der Pflege soll es verlässliche Standards geben. Auch faire Mobilität auf dem Arbeitsmarkt ist der neuen Landesregierung wichtig. Es soll deshalb mit den Krankenkassen ein „Fair Care“-Gütesiegel für die häusliche Betreuung entwickelt werden, um faire Arbeitsbedingungen auszuzeichnen. Unklar ist, ob es um osteuropäische Kräfte geht. Denn Qualitätskontrolle muss hier genauso erfolgen wie bei zugelassenen Anbietern: Standards und Qualitätskontrolle.

Familienpflege

Die Familienpflege ist ein wichtiger Baustein, wenn es um die Versorgung von Familien in Not geht, sie muss auskömmlich refinanziert sowie weiter gestärkt und erhalten bleiben.

Pflegekammer

Die Diskussionen zur Pflegekammer sind sehr kontrovers in Baden-Württemberg, eine Stärkung der Pflege ist in jedem Fall wichtig, die Pflege muss die Versorgungssysteme stärker mitgestalten.