Zuerst der Mensch – deswegen Partizipation
Im Fachbeirat des Fachverbandes der Behindertenhilfe wurde mit diesen beiden Zeichen aus dem Video verdeutlicht, was Partizipation bedeutet.
Zuerst sehen wir die Gebärde für Teilhabe und anschließend das selbsterfundene Zeichen für Partizipation, in dem zum Ausdruck kommt, dass Beteiligung ein bewegter Prozess, der Mitwirkung erfordert und aktive Mitgestalter will.
Teilhabe = Dabei sein
Partizipation = Dabei sein + Mitgestalten!
Beteiligung und Partizipation bedeuten mehr als Teilhabe, denn sie beinhalten nicht nur das „dabei sein“, sondern auch „mitgestalten“. In der Landesgeschäftsstelle der Diakonie Württemberg haben wir deswegen ein Kompetenzzentrum Partizipation mit Mitgliedern aus allen Abteilungen und Handlungsfeldern gegründet.
Wir verstehen Beteiligung als einen Weg in die Zukunft und wesentlichen Bestandteil einer demokratischen Kultur. Richtungsweisend sind diese Zitate: „Gestalten statt dabei sein“, „Sehen – Hören – Beteiligen“ sowie
„Die Würde des Menschen steht im Mittelpunkt“
Stufen der Beteiligung
Es ist uns wichtig, dass wir aktive mitgestaltende Beteiligung fördern. Diese beginnt bei den Formen von Mitwirkung. Ernstgemeinte ehrliche Beteiligung stärkt Menschen selbstbestimmt zu handeln. Der Mensch wird von einem passiven Teilnehmenden zu einem aktiven handelnden Mitgestalter.
FAQs
Wann beginnt Beteiligung?
Beteiligung fängt viel früher an: Wenn man an Beteiligung denkt und es gibt noch keine bestehenden Strukturen, ist es eigentlich zu spät. Ehrliche Beteiligung ist nicht einfach verfügbar oder auf Knopfdruck abrufbar.
Grundsätzlich gilt: Vor dem Zeitpunkt, an dem die tatsächliche Beteiligung erfolgen soll, sollten ca. 12 Monate Planungszeitraum liegen.
Besser noch: Beteiligung ist ein fester Bestandteil in den Strukturen. Dann kann Beteiligung im Rahmen der bestehenden Strukturen erfolgen.
Was sind die Ziele des Kompetenzzentrums Partizipation?
- Wissen über Beteiligung sammeln und zugänglich und sichtbar machen
- Mitglieder bei Aktivitäten unterstützen
- Beteiligung in der Landesgeschäftsstelle und im Verband ermöglichen
- Entwicklung von wirksamen und zeitgemäßen Formaten für die politische Vertretung der Interessen unserer Zielgruppen, um Rahmenbedingungen mitzugestalten
Was sind Bedingungen damit Beteiligung gelingt?
- Die Art der Beteiligung bzw. die Stufe der Beteiligung muss geklärt sein: Information, Anhörung, Mitwirkung, Mitbestimmung, etc. Alle Beteiligungsformen haben ihre Berechtigung. Es gibt auch die Abfolge mehrerer Formen innerhalb eines Prozesses. Häufig geben die Art des Projekts oder der rechtliche Rahmen die Form vor. Entscheidend ist: in jeder Phase eines Prozesses muss für alle Beteiligten transparent sein, um welche Art der Beteiligung es gerade geht. Sonst entstehen falsche Erwartungen und damit Enttäuschungen.
- Was die Frage ist? Häufig ist der Anlass eines Veränderungsprozesses nicht die eigentliche Ursache des Problems. Was ist die Frage hinter der Frage? Worum geht es wirklich? Erst der Konsens über die Ausgangsfrage ermöglicht gemeinsame, konstruktive Arbeit an der Lösung.
- Nicht zu früh entscheiden! Es sollten keine Vorentscheidungen getroffen werden, bevor alle Bedürfnisse, Interessen, Erfahrungen und Rahmenbedingungen auf dem Tisch sind. Der Prozess sollte möglichst lange im Fluss bleiben und durchgehend von einem breiten Konsens getragen sein. Voreilige Weichenstellungen, die später kaum mehr revidierbar sind, führen sehr wahrscheinlich zu unbrauchbaren Ergebnissen.
- Entscheidungen über Alternativen vermeiden! Sie führen zu Polarisierung. Und ausgerechnet diejenigen, die noch nicht festgelegt und Argumenten zugänglich sind, gehen verloren. Sie werden genötigt, sich auf eine Seite zu schlagen. Außerdem führen Auswahlentscheidungen immer zu Verliererinnen und Verlierern, die dann bei unvorhergesehenen Umsetzungsschwierigkeiten (und die kommen bestimmt) sagen: „Ich hab’s ja gleich gesagt. Hättet ihr halt auf mich gehört!“ Umgekehrt lässt sich dieser Effekte aber auch nutzen: Oft starten wir Beteiligungen leider erst, wenn die Situation bereits polarisiert ist. Dann kann der Prozess wieder in Bewegung kommen, wenn wir zusätzliche Menschen einbeziehen, die noch keine festgelegte Position haben.
- Beteiligte dürfen den emotionalen Bezug nicht verlieren. Zu frühe Entscheidungen führen nicht nur auf falsche Fährten. Dadurch fallen auch Anliegen von Beteiligten unter den Tisch, die sich dann vom Prozess innerlich verabschieden. Typischerweise finden in einem Prozess sehr viele solcher Entscheidungen statt. Wir stimmen ab, kleben Pünktchen oder füllen Entscheidungsmatrizen. Mit jedem Schritt verlieren einige den emotionalen Anschluss. Am Ende gibt es ein Ergebnis, hinter dem niemand steht. Ein typisches Symptom für solche Prozesse sind Gremienmitglieder, die Entscheidungen trotz Einstimmigkeit nicht nach außen vertreten oder sie nicht engagiert umsetzen. Das Projekt landet in der Schublade.
- Wann ist eine Entscheidung eine Entscheidung? Entscheidungen müssen inhaltlich begründbar sein. Die korrekte Anwendung einer Moderationsmethode ist keine inhaltliche Begründung. Für die Beteiligten muss stets nachvollziehbar bleiben, aus welchen inhaltlichen Gründen das Ergebnis zustande kam.
- Mit den Leuten reden! Entscheidungsgremien haben in der Regel bis zum Ergebnis einen langen Weg hinter sich. Es genügt nicht, den Betroffenen das Ergebnis zu erklären. Sie müssen auch die Möglichkeit haben, den Weg dahin nachzuvollziehen. Die Kommunikation des Ergebnisses erfordert viel Aufwand und bei Schlüsselpersonen häufig Einzelgespräche. Dafür ist es hilfreich, bereits am Anfang des Prozesses eine Akteurinnen/Akteur-Analyse zu erstellen, mit deren Hilfe Schlüsselpersonen identifiziert werden. Diese Kommunikationsaufgabe können Verantwortliche nicht delegieren. Und sie müssen sich nicht nur Kritik stellen, sondern auch den naiven Fragen derer geduldig begegnen, die das erste Mal mit dem Thema konfrontiert sind.
Was bedeutet Beteiligung für die bisherigen Entscheiderinnen und Entscheider?
- Die Ergänzung repräsentativer Verfahren durch partizipative Prozesse verändert ihre Rolle grundlegend. Mit Widerstand ist zu rechnen! Sie sind nicht mehr die Lösungslieferantinnen und Lösungslieferanten. Sie werden Ermöglicherinnen und Ermöglicher und Befähigerinnen und Befähiger. Sie beschließen über die Anlässe der Beteiligung, schaffen den Rahmen dafür, sorgen für die Ressourcen. Sie legitimieren sich nicht mehr durch ihr Herrschaftswissen, sondern stehen mit ihrer Expertise allen Beteiligten zur Verfügung. Und sie sorgen für Kontinuität und eine geordnete Umsetzung der Ergebnisse.