„Wir beide haben eine Behinderung, denn wir können keine Gebärdensprache“
Der erste öffentliche Jubiläumsevent der Paulinenpflege führt Menschen mit und ohne Behinderung zusammen.
Es ist schon eine ganz besondere Atmosphäre, wenn man am Sonntagmorgen den Innenhof der Paulinenpflege mitten in Winnenden betritt. Überall kleine Zelte, Bierbänke, ein festlich geschmückter Altar und ein Duft von frisch gebrutzelten Roten, Steaks und Feta-Käse – dazu Klänge vom Posaunenchor Winnenden. An der Außenfassade hängt in Neonfarben aufgepeppt Königin Pauline von Württemberg. Sie ist die Namensgeberin der Paulinenpflege und des Festivals. Um Punkt 10.30 Uhr startet nämlich der zweite Tag des inklusiven Festivals „Pauline bebt!“ mit einem Open-Air-Gottesdienst zusammen mit der Evangelischen Kirchengemeinde Winnenden. Der zweitägige Event für Herz, Geist und Seele ist die erste öffentliche Veranstaltung im Rahmen des 200-jährigen Jubiläums der diakonischen Einrichtung.
„Heute haben wir beide eine Behinderung, denn wir können keine Gebärdensprache. Gottseidank haben wir eine Gebärdensprachdolmetscherin der Paulinenpflege an unserer Seite“, sagt Pfarrer Philipp Essich über sich und seine Kollegin und Pfarrerin Heike Bosien am Anfang des Gottesdienstes. Dass Gebärdensprache nicht nur ein wichtiges Kommunikationsmittel ist, sondern auch musikalisch sein kann, zeigt anschließend der Gebärdenchor.
Musik spielt an beiden Tagen des inklusiven Festivals eine ganz große Rolle. Am Samstag hat als einer der Topacts, die Band „Better than“ von der Lebenswerkstatt Heilbronn, das Beben in Winnenden gestartet. Vier der acht Bandmitglieder haben ein sichtbares Handicap. „In der Außenwahrnehmung ist unsere inklusive Band etwas Besonderes, in der Innenwahrnehmung sind wir genauso eine Band wie andere auch“, sagt Friedemann Manz, der Keyboard und Gitarre spielt. Bei Grönemeyers „Musik nur wenn sie laut ist“ wird dann auch wieder die Lebenswelt von gehörlosen Menschen gespiegelt. Bei Maffays „Über sieben Brücken“ liegen sich die Besucherinnen und Besucher des Festivals, die von innerhalb und außerhalb der Paulinenpflege kommen, in den Armen. Nach vielen Monaten Pandemie-Abstand tut das allen besonders gut. Und so sind die ganz großen Festivalfans sogar aus Mosbach angereist.
Die weiteren Programmpunkte an beiden Tagen sind kaum noch mehr zu zählen. Es geben sich Trommelgruppen, der Singer Songwriter Sascha Santorineos, ein Irish-Folk-Duo oder auch die integrativen Rhythmusguggen „Elefantis“ die Mikros in die Hand. Zwischendurch taucht immer wieder Gaukler Michi auf – entweder als Feuerschlucker oder auf Stelzen, um die Festival-Fans zu necken. Wichtig ist „Club-Paula“-Chef Ulrich Bühner, dass beim gesamten Event immer die Bewohnerinnen und Bewohner im Mittelpunkt stehen: „Mein Team hat mit ganz viel Herzblut in den letzten Monaten geplant, vorbereitet und geschafft – das alles aber im Hinblick, dass unsere Menschen mit Behinderung zwei Tage Jubiläum feiern können. Daher ist es auch ganz wichtig, dass sie so oft wie möglich auch auf der Bühne stehen. Egal, ob mit der Trommel, mit Keyboard oder auch mit dem Gebärdenchor.“
Das zeigt sich auch beim Gottesdienst am Sonntagmorgen: Die Schriftlesung kommt von einem langjährigen Bewohner, der natürlich in Gebärdensprache aus der Bibel vorliest. Auch bei der Umfrage: „Bei was bebt Euer Herz?“ kommen viele Paulinenpflegler auf die Bühne, irgendwann trauen sich auch die anderen. „Ich wohne im Degenhof und muss sagen, dass mein Herz vor Freude bebt, wenn ich Kontakt zu den Menschen mit Behinderung auf dem Paulinenhof und der Blauen Arche habe. Es ist schön, dass es sie gibt!“, sagt z.B. ein mutiger Gottesdienstbesucher. „Ihr Statement passt wunderbar zu unserem Jubiläumsslogan ‚Weil das Leben bunt ist‘“ freut sich Ulrich Bühner.
Kaum ist das „Amen“ verklungen, geht es weiter mit dem nächsten Höhepunkt des Sonntags: Das gemeinsame Mittagessen steht an. Und sicher noch viele weitere schöne und bunte Highlights: „Bleiben Sie den ganzen Tag bei uns – wir haben noch viele Überraschungen für sie vorbereitet“, so Ulrich Bühner. Und er ist sich fast sicher, dass das Wetter bis zum Festivalende sonnig bleibt, denn ein Bewohner hat gerade im Gottesdienst mit einem Schmunzeln erzählt, dass das so ähnlich auch in der Bibel stehe.