Hilfe für Langzeitarbeitslose ausbauen und in Regierungserklärung aufnehmen
Zur Evaluation des Landesprogramms „gute und sichere Arbeit“ für Baden-Württemberg. Zumeldung zur heutigen Pressemitteilung des Sozialministeriums: Nahezu 73 Mio. Euro für Qualifizierung und Beschäftigung von alleinerziehenden Frauen, benachteiligten Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen.
Die Diakonie in Württemberg ist überzeugt vom Landesprogramm „gute und sichere Arbeit“ für Baden-Württemberg, dessen Evaluationsergebnisse Sozialministerin Katrin Altpeter heute vorgestellt hat. Notwendig sei allerdings Fortsetzung und Ausbau nach der Landtagswahl in der nächsten Legislaturperiode, damit die geförderten Menschen nach dem Ende des Programms nicht wieder in die Arbeitslosigkeit zurück fallen, sagt Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg.
Stuttgart, 3. Februar 2016. „Ein zunehmender Anteil der Langzeitarbeitslosen hat auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Chancen auf Integration mehr“, stellt Dieter Kaufmann fest. Die Ergebnisse der Bausteine des Landesarbeitsmarktprogramms belegen, dass eine auf die Person und die Lebenssituation ausgerichtete Unterstützung langzeitarbeitslosen Menschen Zugänge zu Arbeitsmarkt und gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichen. Die Projekterfahrungen und Evaluationsberichte belegen aber auch, dass eine solche Unterstützung notwendig ist, weil es ohne sie für viele Langzeitarbeitslose keine Chancen auf Rückkehr auf den Arbeitsmarkt gibt. „Es freut uns, dass die Regierungsparteien die Fortsetzung des Landesarbeitsmarktprogrammes in ihr Wahlprogramm aufgenommen haben. Zum Wohl der 70.000 langzeitarbeitslosen Menschen im Land muss die Landesregierung dies in der nächsten Legislaturperiode weiterentwickeln“, so Oberkirchenrat Dieter Kaufmann.
Die Diakonie macht gute Erfahrungen mit dem Programmbaustein „sozialer Arbeitsmarkt / Passiv-Aktiv-Transfer“ (Anmerkung: Ministerin Altpeter verwendet den Begriff „Passiv-Aktiv-Tausch“ – gemeint ist derselbe Sachverhalt). Seit vielen Jahren vertritt sie die Position, dass öffentlich geförderte Beschäftigung dann finanzierbar wird, wenn die für den Lebensunterhalt der langzeitarbeitslosen Menschen ohnehin aufzubringenden Mittel (Passiv) auf die Finanzierung von Beschäftigungsmaßnahmen (Aktiv) übertragen werden können (Transfer). Die wissenschaftliche Evaluation attestiert gerade diesem Programmbaustein einen besonderen Erfolg. Für viele Teilnehmer erwies sich das Programm als Türöffner in den allgemeinen Arbeitsmarkt. „Eine Fortsetzung und Weiterentwicklung drängt sich umso mehr angesichts des Landesarmutsberichts auf“, sagt Oberkirchenrat Dieter Kaufmann. Dieser belege, dass die sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit eine Verfestigung von Armut und dauerhafter Ausgrenzung zur Folge hat. Eine Weiterentwicklung des Programmbausteins setze allerdings die Kooperation von Bund, Land und Kommunen voraus.
Langjährig erprobt ist bei der württembergischen Diakonie das Modell der „assistierten Ausbildung“ für junge Menschen mit Schwierigkeiten bei der Integration in betriebliche Strukturen und an die fachlichen Anforderungen. Inzwischen ist es Regelinstrument im SGB III (Arbeitsförderungsgesetz), das nur sehr pauschale Maßnahmekonzepte und Vergaberegeln zulässt. Damit ist der zentrale Erfolgsfaktor dieses Ansatzes, die spezifische Abstimmung von persönlichen mit örtlichen und betrieblichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben. „Gerade die mit der Förderung in Baden-Württemberg erzielten Erfolge der assistierten Ausbildung sollten das Land dazu herausfordern, auch bei der zukünftigen Umsetzung nach dem SGB III auf die Einhaltung der zentralen Erfolgsfaktoren zu achten und zu bestehen“, ist Dieter Kaufmanns Forderung. Er pflichtet der Aussage von Sozialministerin Altpeter bei, dass „die sozialpädagogsiche Begleitung der Schlüssel zum Erfolg sei und so Drehtüreffekte verhindert“ würden.
Der Programmbaustein zur „nachhaltigen Integration von Langzeitarbeitslosen“ setzt an der Tatsache an, dass fast die Hälfte der Arbeitslosen, die aus dem SGB II heraus in eine ungeförderte Arbeit wechseln, sich innerhalb eines halben Jahres erneut arbeitslos melden müssen. Ein wachsender Personenkreis wechselt zwischen Arbeitslosigkeit einerseits und – meist prekärer – Arbeit andererseits. Das Förderkonzept geht davon aus, dass eine gezielte Unterstützung im Spektrum von persönlicher und betrieblicher Beratung den Verbleib oder Wechsel in Arbeitsstellen sichern kann. Die Evaluation ergab eine Übernahmequote von 59 Prozent nach dem Förderende. „Eine erste Auswertung von Diakonie, Paritätischem und Caritas zeigen sogar, dass eine solche Unterstützung für über 70 Prozent der Projektteilnehmer erfolgreich ist“, stellt Kaufmann fest. Die im Rahmen des Landesprogrammes entwickelten Coaching-Konzepte sollten zum Bestandteil aller Instrumente werden und von der Meldung als Arbeitsloser bis zur Integration in Arbeit reichen“, so Kaufmann.
Die Evangelische Landeskirche und das Diakonische Werk Württemberg haben auf der Basis des Passiv-Aktiv-Transfers bereits im Jahr 2013 durch das Förderprogramm „Beschäftigungsgutscheine für Langzeitarbeitslose“ ein Zeichen gesetzt.
Zwei Beispiele für den Erfolg des „Passiv-Aktiv-Transfers“:
Wilfried Bittner, 57 Jahre, war ohne Berufsausbildung als Bauhelfer und Staplerfahrer tätig. In den Jahren 2003 bis 2009 hat er seine kranke Ehefrau bis zu ihrem Tod gepflegt. Danach erfolgte der soziale Absturz, einhergehend mit Alkoholproblemen und gesundheitlichen Schwierigkeiten. Er wurde wohnungslos und fand keine Arbeit mehr. Um einen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben zu finden, kam er im Rahmen einer freiwilligen Arbeit ab März 2012 mit geringem Zeitumfang zur Esslinger Beschäftigungsinitiative (EBI). Das baden-württembergische Landesprogramm förderte ihn im Rahmen des Passiv-Aktiv-Transfers in seiner Beschäftigung bei EBI von November 2012 bis November 2014. Er war dort als Hausmeister tätig. Herr Bittner hat sich in diesem Zeitraum sehr gut eingearbeitet und sich zunehmend stabilisiert.
Intensive Betreuung und die enge Kooperation mit der Wohnungslosenhilfe verhinderten den Abbruch des Arbeitsverhältnisses. Nach dem Auslaufen der Landesförderung Ende 2014 übernahm ihn EBI in eine befristete Beschäftigung bis April 2016. Wilfried Bittner arbeitet heute neben den Hausmeistertätigkeiten zeitweise in der Recycling- Abteilung. Die Esslinger Beschäftigungsinitiative sucht nach Möglichkeiten, Herrn Bittner nach Ende der Befristung weiter zu beschäftigen, da er inzwischen zu einer Stütze in seinen Arbeitsbereichen geworden ist.
Wilfried Bittner steht für ein persönliches Interview und Fotoaufnahmen zur Verfügung.
Raffael Viergutz, 31 Jahre, hat nach der Realschule eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker abgeschlossen. Jedoch war er dem Leistungsdruck im Betrieb kaum gewachsen, da er die Balance zwischen Arbeitsdruck und Belastbarkeit nur schwer ins Gleichgewicht bringen konnte. Nach Abschluss der Ausbildung erkrankte er psychisch und konnte nicht weiterarbeiten. Im Jahr 2011 nahm Herr Viergutz an einem Projekt des Jobcenters Esslingen zum langsamen Wiedereinstieg für Menschen mit psychischen Problemen teil. Im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit (Ein-Euro-Job) kam er in die Fahrradwerkstadt der Esslinger Beschäftigungsinitiative (EBI).
Im Anschluss an die einjährig befristete Tätigkeit stellte EBI Herrn Viergutz von 2012 bis 2014 im Rahmen des Passiv-Aktiv-Transfers an. Dieser erste Arbeitsvertrag war für sein Selbstwertgefühl sehr wichtig. Er lernte, seine Stärken und Fähigkeiten zu erkennen, seine Grenzen zu akzeptieren und mit Problemen umzugehen. Heute kann er seine Leistungsbereitschaft und seine Belastungsfähigkeit gut miteinander in Einklang bringen.
Herr Viergutz. qualifizierte sich im Rahmen der Förderung berufsbegleitend zum Fahrradmechaniker weiter und legte die externe Prüfung erfolgreich ab. Die Esslinger Beschäftigungsinitiative hat ihn nach der Förderphase im November 2014 in ein befristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Herr Viergutz arbeitet jetzt als Fahrradmechaniker in der Radstation Kirchheim/Teck.
Raffael Viergutz steht für ein persönliches Interview zur Verfügung.
Das Diakonische Werk Württemberg
Das Diakonische Werk Württemberg mit Sitz in Stuttgart ist ein selbstständiges Werk und der soziale Dienst der Evangelischen Landeskirche und der Freikirchen. Auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes unterstützt der Wohlfahrtsverband im Auftrag des Staates hilfebedürftige Menschen. Das griechische Wort „Diakonia“ bedeutet „Dienst“. Die Diakonie in Württemberg ist ein Dachverband für 1.200 Einrichtungen mit 40.000 hauptamtlichen und 35.000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie begleiten Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen mit Behinderungen, alte und pflegebedürftige Menschen, Arbeitslose, Wohnungslose, Überschuldete und andere Arme, Suchtkranke, Migranten und Flüchtlinge sowie Mädchen und Frauen in Not. Täglich erreicht die württembergische Diakonie über 200.000 Menschen. Das Diakonische Werk Württemberg ist ebenfalls Landesstelle der Internationalen Diakonie, Brot für die Welt, Diakonie Katastrophenhilfe und Hoffnung für Osteuropa.