„Solidarische Pflegekultur ist ein unverzichtbares Gut“
Internationaler Tag der Pflege: Plädoyer der Diakonie Württemberg für höheren gesellschaft-lichen Stellenwert der Pflege – Appell an die neue Landesregierung, die pflegepolitischen Herausforderungen im Land anzugehen und die Versorgung kranker und hilfebedürftiger Menschen zu verbessern.
Stuttgart, 10. Mai 2016: „Die solidarische Pflegekultur ist ein unverzichtbares Gut, das wir bewusst pflegen müssen, damit es uns nicht verloren geht“, sagt Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg, anlässlich des internationalen Tags der Pflege am 12. Mai. „Der angemessene gesellschaftliche Stellenwert von Pflege muss uns allen am Herzen liegen. Wir alle können morgen oder übermorgen pflegebedürftig sein.“
Bundesweit machen diakonische Pflegeeinrichtungen am 12. Mai auf die wichtige Arbeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufmerksam. Allein in Württemberg sind es rund 20.000 Menschen, die in ambulanten Pflegediensten oder Heimen der Diakonie im Einsatz sind. „Wir sind stolz auf unsere Traditionen im Land der Denker, Tüftler und Häuslesbauer. Soziale Traditionen geraten dagegen in Vergessenheit. Dabei haben gerade wir in Baden-Württemberg auch eine lange Tradition an solidarischer Pflege!“ betont Kaufmann. In vielen württembergischen Gemeinden seien bereits vor 130 Jahren Krankenpflegevereine und Pflegeheime durch das Engagement engagierter Bürger entstanden. Dabei habe die Zusammenarbeit zwischen Kirchengemeinden und bürgerlichen Gemeinden eine lange gemeinsame Geschichte. Es sei früher selbstverständlich gewesen, schon bei der Heirat in den örtlichen Krankenpflegeverein einzutreten. Heute würden viele Pflegeaufgaben von professionellen Diensten geleistet.
Zwar seien die Kranken- und die Pflegeversicherung in den letzten 20 Jahren zu tragenden Säulen der Absicherung im Pflegefall geworden. „Dies reicht heute aber angesichts der immer größer werdenden Zahl der Hochbetagten nicht mehr aus“, ergänzt Eva-Maria Armbruster, Stellvertreterin des Vorstandsvorsitzenden des Diakonischen Werks Württemberg. Mit Blick auf die Vermögens- und Einkommensunterschiede in der Bevölkerung sorgen sich Kaufmann und Armbruster, dass Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit im Alter zukünftig für mehr Menschen ein Armutsrisiko darstelle. „Schon jetzt sind rund 30 Prozent der Pflegebedürftigen im Heim Empfänger von Sozialhilfeleistungen. Deswegen muss die Pflegeversicherung so ausgebaut werden, dass sie die Kosten im Pflegefall auch tatsächlich übernimmt.“
Die Vorstände beklagen in diesem Zusammenhang, dass die Pflegeversicherungsleistungen für Heimbewohner in den letzten zehn Jahren nicht entsprechend den allgemeinen Kostensteigerungen aufgestockt wurden. „Ob wir es bequem finden oder nicht, langfristig führt kein Weg an einer besseren finanziellen Ausstattung der Pflegeversicherung vorbei.“
Mit Blick auf die Pflegepolitik der neuen Landesregierung wünschen sich Kaufmann und Armbruster, dass die Empfehlungen der Landtagsenquete zur Pflege auch in der neuen Legislaturperiode wirklich umgesetzt werden. „Wir sind sehr froh darüber, dass sich der Landtag so intensiv mit den pflegepolitischen Herausforderungen in unserem Land beschäftigt hat.“ Die Diakonie Württemberg begrüßt die Empfehlungen der Enquetekommission zum Aufbau ortsnaher, leicht zugänglicher Versorgungstrukturen ausdrücklich. Von den Landes- und Kommunalpolitiken müsse nun aber auch erwartet werden, dass es bald einen Masterplan für die Versorgung kranker und hilfebedürftiger Menschen im Land gebe.
Auch Kirchengemeinden könnten einen wertvollen und sinnvollen Beitrag zur Verbesserung pflegerischer Angebote leisten: zum einen durch den weiteren Ausbau von Diakoniestationen und Tagespflegeeinrichtungen, zum anderen durch den Aufbau und Ausbau von Betreuungsgruppen für Menschen mit einer Demenzerkrankung und Beratungsdiensten. Auch die zahlreichen Hospizgruppen leisteten eine unschätzbare Arbeit für Menschen am Ende ihres Lebens. Die Kirche besitze ein immer wieder neu entstehendes Potenzial an Menschen, die sich auch ehrenamtlich engagieren möchten.
„Es kann uns als Gesellschaft und als Kirche nicht egal sein, wenn wir sehen, dass alte und kranke Menschen einsam und isoliert leben“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg. Neben den Fragen der Wanderungsbewegungen in Europa und der Bewältigung der Umweltprobleme sei das Thema der solidarischen Pflegekultur eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen der nächsten 25 Jahre.
Das Diakonische Werk Württemberg
Das Diakonische Werk Württemberg mit Sitz in Stuttgart ist ein selbstständiges Werk und der soziale Dienst der Evangelischen Landeskirche und der Freikirchen. Auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes unterstützt der Wohlfahrtsverband im Auftrag des Staates hilfebedürftige Menschen. Das griechische Wort „Diakonia“ bedeutet „Dienst“. Die Diakonie in Württemberg ist ein Dachverband für 1.200 Einrichtungen mit 40.000 hauptamtlichen und 35.000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie begleiten Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen mit Behinderungen, alte und pflegebedürftige Menschen, Arbeitslose, Wohnungslose, Überschuldete und andere Arme, Suchtkranke, Migranten und Flüchtlinge sowie Mädchen und Frauen in Not. Täglich erreicht die württembergische Diakonie über 200.000 Menschen. Das Diakonische Werk Württemberg ist ebenfalls Landesstelle der Internationalen Diakonie, Brot für die Welt, Diakonie Katastrophenhilfe und Hoffnung für Osteuropa.