Statt Pflichtdienst soziales Lernen in Schule und Ausbildung etablieren
Pflegeberufe und Freiwilligendienste stärken, um mehr Menschen dafür zu gewinnen
Stuttgart, 6. August 2018. Auf den Vorstoß von Junger Union und CDU, die Debatte über ein allgemeines Pflichtjahr neu zu beleben, reagiert die Diakonie Württemberg mit Unverständnis, begrüßt aber den Gedanken, das Soziale für noch mehr Menschen zugänglich zu machen. „Sehr hilfreich finden wir, soziales Lernen in Schule, Ausbildung und Hochschule sowie die Freiwilligendienste zu stärken“, sagt Eva-Maria Armbruster, Vorstand Sozialpolitik im Diakonischen Werk Württemberg. Die Diakonie setzt sich seit Jahrzehnten für gut angeleitetes und begleitetes freiwilliges Engagement und gegen jede Form von Pflichtdiensten ein.
Mehr Freiwillige könnten gewonnen werden, wenn der Bund ein größeres Kontingent geförderter Plätze bereit stellen würde. „Der freiwillige Dienst im Sozialen ist eine Bildungsaufgabe und braucht eine intensive Begleitung“, ist Armbruster überzeugt. Die vielen positiven Rückmeldungen der 2.000 Engagierten im Freiwilligen Sozialen Jahr und Bundesfreiwilligendienst bei der württembergischen Diakonie zeigten, dass diese Erfahrung nachwirkt. Einige ergreifen einen sozialen Beruf, andere tragen den sozialen Gedanken und das Verständnis für die Situation benachteiligter Menschen in die Gesellschaft und ihre Berufswelt hinein.
Attraktiver würde der Freiwilligendienst durch Bürokratieabbau, etwa durch Fristenregelungen im Bundesfreiwilligendienst, die Befreiung von Rundfunkgebühren sowie freie Fahrt in Bus und Bahn für alle Freiwilligendienstleistenden.
Eva-Maria Armbruster gibt auch zu bedenken: „Wir freuen uns, wenn Menschen sich freiwillig einbringen. Beruflich oder im Ehrenamt. Wer aber alle verpflichtet, wird sich am Ende vor allem um die kümmern müssen, die nicht zu einem Dienst motiviert sind.“ Soziale Einrichtungen, zumal in der Pflege, hätten dazu nicht die Zeit. „Nur mit besseren Rahmenbedingungen in den Pflegeberufen können wir die Situation in der Pflege verbessern“, sagt Eva-Maria Armbruster. Die Bundespolitik könnte Hochschulen, Wirtschaft und staatliche Verwaltung dafür gewinnen, dass mehr junge Menschen einen Freiwilligendienst machen, weil er auch für sie ein Gewinn ist. Da Wirtschaft und Hochschulen sich seit Jahren dafür einsetzen, die Schulabgänger möglichst sofort zu gewinnen, müssten diese allerdings wohl erst überzeugt werden.
Nach Einschätzung der Diakonie wären die Kosten für ein Pflichtjahr immens. Schon die Verwaltung der jährlich 50.000 „willigen“ Bundesfreiwilligendienstleistenden verschlingt pro Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag. Weiterer Kostenfaktor, weil personalintensiv: „Wer Pflicht will, muss Kontrolle ausüben.“ Bei Bundeswehr und Zivildienst floss ein Großteil der nötigen Mittel in die Kontrollapparate: Musterung, Dienstantritt, Verweigerung, Umgang mit „Drückebergern“, Ausnahmeregelungen, Maßregelungen oder Disziplinarverfahren.
Zudem betrifft ein Pflichtjahr eine sehr große Anzahl von Personen. Pro Jahr gibt es in Deutschland rund 700.000 Schulabgängerinnen. Die Bundeswehr braucht rund 50.000 Rekrutinnen. Freiwilligendienste leisten ca. 80.000 Personen. „Wie sollen die übrigen Personen in Dienste überführt werden?“, fragt Eva-Maria Armbruster.
Die Diakonie weist weiter darauf hin, dass ein Pflichtjahr für alle eine Grundgesetzänderung voraussetzt, denn solch ein Jahr würde international als Zwangsarbeit gewertet und entspricht weder der Menschenrechtskonvention noch europäischem Recht.