Bundesfachkongress: zunehmend Familien ohne Wohnung
Stuttgarter Erklärung benennt Standards in kommunalen Unterkünften und Digitalisierung als wichtige Themen
Stuttgart, 7. Dezember 2021. Mit der Forderung nach menschenwürdigen Unterkünften, einem verlässlichen Onlinezugang, der Achtung der Würde von Menschen in sozialen Notlagen sowie der Wertschätzung der Wohnungsnotfallhilfe ging der Kongress des Evangelischen Bundesfachverbands Existenzsicherung und Teilhabe e.V. (EBET) zu Ende. Die rund 150 Teilnehmenden hatten ihren Tagungsort pandemiebedingt von Stuttgart ins Internet verlegt.
Der EBET fordert einen bedingungslosen Schutz der Menschenwürde und gesellschaftliche Teilhabe für einkommensarme Menschen. Dr. Jens Rannenberg, Vorsitzender des EBET: „Soziale Gerechtigkeit muss ein zentrales Ziel der neuen Bundesregierung sein. Armut in einem reichen Land wie Deutschland ist nichts anderes als ein Mangel an Gerechtigkeit.“
Die Corona-Pandemie habe die Situation von Menschen ohne Wohnung weiter verschärft, heißt es in einer verabschiedeten Erklärung. In vielen Kommunen sei die „ordnungsrechtliche Unterbringung“ von wohnungslosen Menschen in schlechtem baulichem und hygienischem Zustand und ohne ausreichende Ausstattung. An Orten, wo wegen der Pandemie guter zusätzlicher Wohnraum geschaffen wurde, müsse dieses Angebot bestehen bleiben, fordern die Fachleute. Inzwischen müssten zunehmend auch Familien mit Wohnraum versorgt werden. Die Kongressteilnehmenden verweisen auf „die Vielschichtigkeit von sozialen Notlagen, die mittlerweile bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft ragen“. Das „Narrativ bärtiger, alter Männer mit Hut und Bierflasche“ entspreche nicht der Realität.
Großes Thema in der Wohnungsnotfallhilfe sei die Digitalisierung, „sie exkludiert einkommensarme Menschen, denen kein Netzzugang zur Verfügung steht“. Dazu komme das fehlende Wissen im Umgang damit. Das zum 1. Januar 2023 in Kraft tretende Onlinezugangsgesetz, das fast 600 Verwaltungsleistungen auch digital anbieten soll, bleibe „Zukunftsvision“, wenn Menschen davon ausgeschlossen blieben. Um auch nach der Pandemie digital arbeiten und lernen zu können, braucht es nach Ansicht der Kongressteilnehmenden „für jedes Haushaltsmitglied ein entsprechendes Endgerät mit stabilem Internetzugang, für Paare und Familien Wohnraum, der ungestörtes Leben und Arbeiten zulässt“.
Wolfgang Sartorius, Mitglied im Vorstand von EBET, Vorsitzender des Fachverbands Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werks Württemberg und Vorstand der Erlacher Höhe, einer Einrichtung für wohnungslose Menschen, berichtet von „vertreibender Hilfe“, der Verweisung wohnungsloser Menschen von Kommunen in andere Orte, und „verkommenen Obdächern“. Er fordert Angebote der Kältehilfe, die angemessener Wohnraum sind und Infektionsschutz bieten.
Insbesondere junge Wohnungslose treffe die Corona-Krise hart, sagt Sonja Hagenmayer, Bereichsleiterin „Junge Erwachsene“ bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart. Zugänge zu Behörden fehlten und ohnehin komplizierte Übergänge zwischen den Hilfesystemen waren und sind für die jungen Menschen noch schwieriger zu überwinden. „Selbst niedrigschwellige Anlaufstellen konnten ihr Angebot im Lockdown streckenweise nur in beschränkter Form anbieten.“ Auch der Lebensmittelpunkt Straße als öffentlicher Rückzugsraum unterliege massiven Beschränkungen. „Wohnungslose junge Menschen sind wie andere junge Menschen auf die Gemeinschaft in Peer-Groups und auf tragfähige und vertrauensvolle Beziehungen angewiesen.“
Der Evangelische Bundesfachverband Existenzsicherung und Teilhabe e. V. (EBET) ist ein Zusammenschluss von Diensten und Einrichtungen der diakonischen Wohnungsnotfall- und Straffälligenhilfe. Der Verein vertritt die Anliegen von Menschen, die finanziell und sozial benachteiligt und vom allgemeinen Wohnungsmarkt stark ausgegrenzt sind. Daneben sind Forderungen nach dem bedingungslosen Schutz der Menschenwürde, nach gesellschaftlicher Teilhabe auch für einkommensarme Menschen und verbesserten Rahmenbedingungen in Politik und Gesellschaft wesentlicher Bestandteil der Arbeit.