Diakonie im Landtag
Über die Situation in der Pflege hat Gabriele Hönes in der Enquete-Kommission „Krisenfeste Gesellschaft“ des Landes Baden-Württemberg gesprochen.
Die Leiterin der Abteilung Gesundheit, Alter, Pflege im Diakonischen Werk Württemberg skizzierte zunächst allen Bereichen gemeinsame Sorgen. „Die Belastungen des Personals insgesamt haben massiv zugenommen.“ Der Umgang mit Sterben und Tod habe mit der Corona-Pandemie eine neue Dimension entwickelt. Die Mitarbeitenden seien, nicht zuletzt durch Quarantäneregelungen, alleine gelassen worden. „Seelsorgerliche Begleitung war erschwert, Begleitung durch Angehörige durch Zutrittsverbote kaum möglich. Dann die Angst vor eigener Infektion und davor, Infektionen in Einrichtungen einzutragen oder im ambulanten Dienst zu den Klientinnen nach Hause zu tragen.“ Auch wenn sich die Lage entspannt habe, gebe es traumatisierte Mitarbeitende. „Doch wohin mit dem Trauma? Die Verantwortlichen der Einrichtungen könnten meist nicht aktiv werden, da sie selber betroffen sind. Individuelle Therapien stünden oftmals aus Kapazitätsgründen nicht zur Verfügung.
Ein enormer Mehraufwand ergebe sich weiter insbesondere für die verantwortlichen Leitungskräfte: Testmanagement, Impfmanagement, Management zum Infektionsschutz, Materialbeschaffung. „Und alle Themen gekoppelt an einen unglaublichen Mehraufwand an Dokumentation.“ Beispielhaft nannte Hönes die Meldepflicht zum Impfstatus über das Elsterportal.
Zudem betonte sie: „Was uns wirklich zu schaffen macht, ist die öffentliche Wahrnehmung des Berufsbilds Altenpflege.“ Auch für diese Mitarbeitenden sei zunächst geklatscht worden – bis sie schließlich für Erkrankungen von Bewohnerinnen und Bewohnern verantwortlich gemacht wurden. „Ich habe mit vielen Verantwortlichen und Mitarbeitenden gesprochen, die einen Ausbruch in einer Einrichtung erlebt haben. Da war alles dabei: von massiven Schuldzuweisungen und Vorwürfen der Heimaufsichten und der Gesundheitsämter bis zu Anfeindungen der Pflegemitarbeitenden beim Bäcker um die Ecke. Und nur wenige Politikerinnen und Politiker aus Stadt, Landkreis oder Land haben sich schützend vor uns gestellt. Stattdessen gab es neue Regelungen, verbunden mit der Hoffnung, Ausbruchsgeschehen zu verhindern. Gerne begleitet von medialer Präsenz, die wiederum die Öffentlichkeit in ihren Annahmen bestärkt, dass die Mitarbeitenden der Dienste und Einrichtungen die Verursacherinnen der Ausbrüche sind.“
Hönes mahnte die schwierige Situation bei der Vorratshaltung an. Seit Jahren würden Einrichtungen der Altenhilfe, ambulant oder stationär, Tagespflegen oder Hospize ohne große Lagerflächen gebaut. Plötzlich habe es keine Schutzausrüstungen mehr gegeben. Jetzt gebe es die nächste Krise. Privathaushalten werde ein Trinkwasser- und Lebensmittelvorrat empfohlen. „Wo soll der Benzinvorrat für den ambulanten Dienst gelagert werden? Ist ein Fahrrad eine Alternative? Aber wie mache ich das dann im Dezember mit dem Fahrrad auf der schwäbischen Alb? Wie erreiche ich als ambulanter Dienste die Menschen ohne Auto? Wie können die Menschen in unseren Einrichtungen mit Mahlzeiten versorgt werden? Woher kommen die Medikamente? Apotheken und Pflegeheime, Hospize und Pflegedienste verfügen über keine Notstromversorgung. Wie bleibt Insulin in der Kühlkette? Wie können Schmerzmedikamente ausgeliefert werden und woher kommt der Sauerstoff für den lungenkranken Mensch? Wie wird geheizt und wie kann es notwendiges fließendes Wasser geben?“
Im Juli 2022 ist eine im Qualitätsausschuss Pflege beschlossene Aktualisierung zu den Gemeinsamen Maßstäben und Grundsätzen für die Qualität (MuGs) für stationäre Pflegeeinrichtungen in Kraft getreten: Pflegeeinrichtungen müssen Konzepte und Maßnahmen zur Bewältigung unterschiedlicher Krisen vorhalten. „Hier brauchen wir unbedingt die Unterstützung der Kommunen vor Ort, sonst schlittern wir in dasselbe Dilemma wie in der Corona-Pandemie. Im Ernstfall ist nichts vorhanden außer einem hübsch geschriebenen Maßnahmenplan. Das ist zu wenig. Und Katastrophen der Klimakrise wie Überhitzung, Hochwasser sind noch nicht mal mitgedacht.“
Thema Digitalisierung. Baden-Württemberg habe mit der Einsetzung eines Landeskompetenzzentrums Pflege & Digitalisierung einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. „Es müssen aber alle dabei sein. Die Telematikinfrastruktur muss zwingend von allen Beteiligten umgesetzt werden. Es bringt doch mal gar nichts, wenn der ambulante Dienst angeschlossen ist und weiter Medikamentenanforderungen an die Ärztin faxt und dann das Rezept mit dem Auto abholt, um es in der Apotheke einzulösen.“ andesfördermittel müssten für Breitbandanschlüsse und flächendeckendes WLAN bereit gestellt werden und Pflegeanbietern bei der Umsetzung der IT abgeholfen werden.
Grundsätzlich braucht es laut Gabriele Hönes für „echte sorgende Gemeinschaften“ die Förderung und Verstetigung von innovativen Versorgungskonzepten und den Mut der Kommunen, gemeinsam diesen Weg zu gehen. Eine Stärkung der Nachbarschaftssysteme und Ansätze der Gesundheitsedukation seien dafür wichtig.
Zur Finanzierung. „Es muss vom Land sichergestellt werden, dass Mindereinnahmen und Mehraufwendungen, die mit der Corona-Pandemie oder auch der aktuellen Energiepreiskrise zusammenhängen, über die sozialrechtlichen Leistungsvergütungssysteme refinanziert werden.“ Ebenso müsse die Finanzierung der Bevorratung und Ausstattung mit Wasser, Wärme, Strom für den Fall von Systemausfällen stehen. Finanziell und strukturell – durch Land und Kommunen.
In der kommenden Pflegereform, die für 2023 angekündigt ist, muss laut Hönes der Gesetzgeber dafür sorgen, dass
- eine Reform des Leistungsrechts mit regelhafter Dynamisierung der Leistungen abgebildet ist
- die Übernahme der medizinischen Behandlungspflege in stationären Einrichtungen durch die Krankenkassen auf den Weg gebracht wird
- die Eigenanteile begrenzt werden
- die Übernahme der Investitionskosten durch die Länder geregelt wird.
Um krisenfest aufgestellt zu sein, brauche es zudem einen echten Bürokratieabbau. Die Dienste und Einrichtungen bräuchten keine Überregulierung der Pflege durch den Gesetzgeber und den ausführenden Organen wie Heimaufsicht und Gesundheitsämter. „Wir brauchen verlässliche Vorgehensweisen, einheitlich geregelt im Land.“ Dienste, Einrichtungen und Verbände forderten Beteiligung. In der Task-Force Langzeitpflege in der Pandemie sei dies gelungen.
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