12. Oktober 2022

Neue Personalbemessung in der Pflege braucht Aufschub

Gesetzgeber hält einjährige, dringend notwendige  Erprobungsphase nicht ein

Stuttgart, 12. Oktober 2022. Die Diakonie Württemberg fordert, die neue Personalbemessung für Pflegeheime zu verschieben. Der auf den jeweiligen Versorgungsaufwand der Einrichtung abgestimmte Personalbestand für Pflege, Betreuung und Hauswirtschaft soll zum 1. Juli 2023 eingeführt werden.

„Hierfür war eine einjährige Erprobungsphase vorgesehen, die nun nicht mehr möglich ist“, moniert Dr. Kornelius Knapp, Vorstand Sozialpolitik im Diakonischen Werk Württemberg. Die dafür notwendigen Bundesrahmenempfehlungen hätten zum 30. Juni 2022 vorliegen müssen, fehlten aber noch und ein Zeitpunkt der Fertigstellung sei nicht absehbar.

„Für diesen Systemwechsel hätten unsere Einrichtungen mindestens diese einjährige Erprobungszeit gebraucht“, sagt Knapp. Die Umgestaltung der Arbeitsabläufe und Prozesse sei Voraussetzung dafür, dass der bedarfsorientierte Personalmix mit deutlich mehr pflegerischem Assistenz- und Hilfspersonal künftig auch zu einer tatsächlichen Verbesserung der Pflegequalität führe. Ohne einen klaren Rahmen fehle den Verantwortlichen eine Orientierung. Ein wichtiges Argument für die Verschiebung der Umstrukturierung ist für Noller auch die hohe Belastung der Heime durch die Corona-Pandemie und nun durch die enormen Kostensteigerungen. „Unsere Mitarbeitenden in der Altenpflege brauchen dringend eine Zeit der Rekonvaleszenz zum Durchatmen. Sie haben Großartiges geleistet und tun das immer noch. Aber mehr geht jetzt nicht.“

Die Diakonie Württemberg begrüßt das neue System, mit dem die bisherige einheitliche Fachkraftquote durch einrichtungsindividuelle Personalmengen und Qualifikationsmixe ersetzt wird, betont Oberkirchenrätin  Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg. Viele Einrichtungen hätten sich bereits vorbereitet und Systemänderungen angestoßen. Das neue System orientiert sich an den tatsächlichen Bedarfen der Bewohnerinnen und Bewohner und setzt die Mitarbeitenden ihrer Qualifikation entsprechen ein. „Wir gehen davon aus, dass sich die bundeseinheitlichen Personalschlüssel an den oberen Werten aus den einzelnen Bundesländern orientieren und führen das System dann ein, wenn der gesetzlich gesteckte Rahmen eingehalten wird“, so Noller.

Hintergrund
Die Personalbemessung nach Paragraf 113c, Sozialgesetzbuch XI
ist ein strukturiertes, empirisch abgesichertes und valides Verfahren für die Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen. Basis ist der durchschnittliche Versorgungsaufwand für direkte und indirekte pflegerische Maßnahmen sowie für Hilfen bei der Haushaltsführung unter Berücksichtigung der fachlichen Ziele und Konzeption des ab dem 1. Januar 2017 geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Die bisher einheitliche Fachkraftquote wird durch einrichtungsindividuelle Personalmengen und Qualifikationsmixe ersetzt, orientiert an den tatsächlichen Bedarfen der Bewohner/-innen. Der Qualifikationsmix des Pflegepersonals richtet sich nach den Anforderungen aus der Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit.

Der Gesetzgeber hat ein Jahr Umsetzungszeitraum nach Veröffentlichung der Empfehlungen festgeschrieben. Diese Zeit ist nun nicht mehr gegeben. Das Modellprojekt, das zum 1. Juli 2022 hätte starten sollen, ist noch nicht ausgeschrieben.