Menschenwürdige Pflege nur durch breite Solidarität zu gewährleisten
Samariterstiftung richtet diesjährigen Kongress des „Netzwerk: Soziales neu gestalten“ (SONG) in Nürtingen aus. Träger der Sozialwirtschaft fordern Haltungswandel und neue Verteilung der Verantwortung.
Nürtingen, 26. September 2022. Elf Träger und Akteure der Sozialwirtschaft aus ganz Deutschland haben sich im „Netzwerk: Soziales neu gestalten“ (SONG) zusammengeschlossen. Ihr Ziel: mit neuen Konzepten den Auswirkungen des demografischen Wandels zu begegnen. Beim diesjährigen SONG-Kongress, der am 21. und 22. September bei der Samariterstiftung in Nürtingen stattfand, diskutierten die rund 100 Teilnehmenden intensiv über Herausforderungen und Lösungsansätze angesichts des drohenden Kollapses des Pflegesystems.
Dass es kein „Weiter so“ geben kann, darüber sind sich die in SONG organisierten Träger der Altenpflege und Eingliederungshilfe mit insgesamt 36.000 Mitarbeitenden einig. Das vor kurzem erschienene SONG-Impulspapier „Ohne Solidaritäten geht es nicht!“ ist ein Plädoyer für eine Neuausrichtung der Gesundheitspolitik in der Alten- und Behindertenhilfe und war die Basis für das Kongressprogramm. Das Impulspapier zeigt auf, dass bereits heute die Nutzung von Pflegeleistungen von den Solidaritäten der Menschen abhängt: Wer in einer Partnerschaft lebt, verweilt deutlich kürzer in der stationären Altenpflege als alleinlebende Menschen. Die Solidarität der Paare untereinander bewirkt einen späteren Heimeinzug. Der Trend zur Individualisierung bringt also im Kontext von Pflege und Betreuung neue Herausforderungen mit sich, da die Zahl der Single-Haushalte weiter steigt. Menschen mit Behinderung benötigen gesellschaftliche Solidaritäten, um eine möglichst autonome und selbstbestimmte Lebensweise verwirklichen zu können.
Schon jetzt sorgen die Träger für eine gute Einbindung der Einrichtungen in die Quartiere und die Förderung des ehrenamtlichen Engagements – Aufgaben, die weit über ihre eigentliche Arbeit hinausgehen und die im Hinblick auf die anstehenden Herausforderungen auf eine breitere Basis gestellt werden müssen. SONG ruft deshalb die Politik auf, diese zivilgesellschaftlichen Kräfte durch eine unabhängige und regelfinanzierte Moderation auf kommunaler Ebene weiter auszubauen und zu steuern. Dr. Gero Techtmann, Geschäftsführer der Geschäftsstelle des SONG-Netzwerks, erklärt: „Wir müssen die Verantwortung für Pflege und Betreuung neu verteilen. Allein mit professionellen Kräften sind die Herausforderungen durch den demografischen Wandel nicht zu bewältigen. Wir fordern deshalb einen Haltungswandel nicht nur der Politik, sondern auch der Zivilgesellschaft.“ Dazu diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des SONG-Kongresses auch den Vorstoß des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes. Die Teilnehmenden, so das Votum, würden ein solches Pflichtjahr allerdings nicht auf junge Menschen beschränken, sondern könnten sich auch ein „Soziales Jahr“ für Seniorinnen und Senioren vorstellen, das zumindest als Angebot mit konkreten Vorschlägen ausgestaltet werden könnte. Denn, so die Erfahrung der Träger: Soziales Engagement tut beiden Seiten gut. Diese Einschätzung teilt auch Referent Prof. Dr. Daniel Buhr, Leiter des Steinbeis Transferzentrum Soziale und Technische Innovation und Professor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er berichtete über Entwicklungen des bürgerschaftlichen Engagements und zeigte auf, wie sich gesellschaftliche Trends und demografische Entwicklungen auf das Engagement auswirken.
Eine wesentliche Forderung des SONG-Netzwerk ist auch die Überwindung der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Pflege innerhalb der Pflegeversicherung. Notwendig sei ein flexibler Mix aus generationenübergreifenden Wohn- und Betreuungsformen, Nachbarschaftshilfe, professioneller Medizin, Pflege und Rehabilitation sowie Teilhabemöglichkeiten im öffentlichen Raum. Zwei Vorträge gaben dazu weitere Impulse: Dr. Marie-Kristin Döbler, Institut für Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, sprach in ihrem Impulsvortrag „Daheim oder ins Heim?“ über Abwägungen zum Leben im Alter zwischen Freiheit und Sicherheit. Sie wies darauf hin, dass in den Medien häufig dystopische Bilder von der stationären Pflege gezeichnet werden, während das Leben im eigenen Zuhause romantisch verklärt werde. Ursula Kremer-Preiß vom Kuratorium Deutsche Altershilfe beschrieb in ihrem Vortrag „Wohnen 6.0. Mehr Selbstverantwortung und demokratische Mitentscheidung in der Vollversorgung“ die Chancen des sektorenübergreifenden Pflegewohnens für individuelle, selbstbestimmte Lebensverhältnisse.
Frank Wößner, Vorstandsvorsitzender der Samariterstiftung, verbindet mit SONG engagierte Menschen, einen von Solidarität geprägten Gesellschaftsentwurf und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Für ihn ist SONG wichtig, um gesellschaftliche Akteure zusammenzubringen, auf Missstände hinzuweisen und zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln. Er sagt: „Mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement des SONG-Netzwerks gehen wir über unseren eigentlichen Zweck hinaus. Der Kongress gibt uns neue Energie, die Dinge anzupacken, du wir für wichtig und notwendig halten – für ein würdiges Leben der uns anvertrauten Menschen und für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft.“
Über das „Netzwerk: Soziales neu gestalten“ (SONG)
Das „Netzwerk: Soziales neu gestalten“ e.V. (SONG) ist ein Zusammenschluss mehrerer Akteure aus der Sozialwirtschaft aus dem ganzen Bundesgebiet. Ihr gemeinsames Fundament ist ihr Engagement für das Gemeinwohl und der Wille, die Zukunft aktiv und gemeinsam zu gestalten. Die elf in SONG organisierten Träger haben insgesamt 36.000 Mitarbeitende. Mitglieder sind: Bank für Sozialwirtschaft AG, Köln; Bremer Heimstiftung, Bremen; Evangelische Heimstiftung, Stuttgart; Evangelisches Johanneswerk, Bielefeld; Franziskanerbrüder vom Hl. Kreuz, Bad Kreuznach; Hospital zum Heiligen Geist, Hamburg; Kuratorium Deutsche Altershilfe, Köln; Samariterstiftung, Nürtingen; Sozialwerk St. Georg, Gelsenkirchen; Stiftung Liebenau, Meckenbeuren; Stiftung Pfennigparade, München.
Über die Samariterstiftung
Die Samariterstiftung betreut an mehr als 30 Standorten in Württemberg über 5.000 Menschen im Alter, mit Behinderung oder psychischer Erkrankung. Rund 3.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in den mehr als 60 Häusern, Einrichtungen und Diensten in den Regionen Böblingen, Esslingen, Göppingen, Heidenheim, Ostalb, Reutlingen, Schwäbisch Hall, Stuttgart und Tübingen. Rund zwei Drittel der Mitarbeitenden sind in der Altenhilfe tätig, knapp ein Drittel in der Eingliederungshilfe/Sozialpsychiatrie. Die Hauptverwaltung der Samariterstiftung ist in Nürtingen.