30. Januar 2025

Mit neuen Rezepten Mitarbeitende fördern und gewinnen

Boris Palmer, Anna-Nicole Heinrich und Moderator Matthias Berg sitzen im Gespräch auf der Bühne.
(v. l.): Boris Palmer (OB Tübingen), Anna-Nicole Heinrich (Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland), Moderator Matthias Berg © Karin Lupfer, Samariterstiftung

Fachleute für Diversity und Generationenforschung tauschten sich im Berneuchener Haus Kloster Kirchberg mit Führungskräften über New Leadership, Werte, Vielfalt und Visionen aus.

Sulz am Neckar —  Was benötigen ein Oberbürgermeister, eine Leitung der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland und Führungskräfte generell für ein „New Leadership“ in Verwaltung, Organisationen und Unternehmen? Der 18. Kirchberger Dialog im Berneuchener Haus Kloster Kirchberg in Sulz am Neckar befasste sich mit dieser Frage. Mehr als 60 Führungskräfte aus Wirtschaft und Sozialwirtschaft tauschten sich vom 27. bis zum 29. Januar 2025 bei der Veranstaltung, organisiert von Verantwortlichen der BruderhausDiakonie, Samariterstiftung, Stiftung Zeit für Menschen und dem Berneuchener Haus, aus. Unter Anleitung von Expertinnen und Experten arbeiteten sie zu Werten, Vielfalt und Visionen und der Frage: Wie wollen wir zukünftig zusammenarbeiten? 

Weil Teams am Arbeitsplatz sich mehr und mehr aus Mitarbeitenden unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlichen Alters und Geschlechts zusammensetzen, war ein Schwerpunkt: Wie gelingt es, am Arbeitsplatz nicht zu diskriminieren? Referentin Şeydâ Buurman-Kutsal, Diplom Supervisorin, Coach und Lehrbeauftragte an der Niederländischen Hochschule Fontys, Fakultät Pädagogik, machte im Blue Eyed-Workshop sichtbar, wie manipulierbar Menschen sind, wenn es darum geht, andere Menschen auszugrenzen. Anhand der etablierten Methode Blue Eyed erhielten die Führungskräfte im Workshop unterschiedliche Rollen. Şeydâ Buurman-Kutsal teilte die Teilnehmenden in Gruppen auf: in Menschen, die diskriminieren und Menschen, die diskriminiert werden. 

Die Mehrheit der Workshop-Beteiligten fügte sich trotz Unbehagens ihrer Rolle, da sie davon ausging, der Workshop solle ungestört ablaufen. Zugleich war diese Reaktion eine wichtige Erkenntnis: nicht stillhalten und denken, alles sei in Ordnung, weil niemand reagiert, sondern Haltung zeigen – und übertragen auf Unternehmen, sich in die Rolle der Menschen einfühlen, die sich diskriminiert fühlen oder sich diskriminiert fühlen könnten. Referentin Şeydâ Buurman-Kutsal vermittelte im Workshop, Menschen, die wir stärken, sind motivierter und lernfähiger.
Im Transfer auf das Thema Diskriminierung war den Führungskräften in den Arbeitsgruppen schnell klar, dass Zugewanderte, die als Mitarbeitende gewonnen werden, den Kulturvorsprung einheimischer Mitarbeitender nicht einholen können und dass darauf Rücksicht genommen werden sollte.

Zur Frage „Was heißt Identität?“ formulierte Philosoph Dr. Marcus Steinweg in seinem Vortrag unterschiedliche Antworten anhand von Aussagen bedeutender Philosophen früherer Jahrhunderte, unter anderem Descartes, Kant, Wittgenstein. Sein Fazit: Identität sei zunächst einmal nur ein Wort. In der Beschäftigung mit der Identität solle man sie als offenes System denken. Ein großer Anteil unserer Identität, bezog sich Referent Steinweg auf den Psychoanalytiker Jacques Lacan, weise uns als Objekte aus: So werden wir in eine bestimmte Familie geboren, in einer bestimmten Kultur aufgezogen, ein Bildungsweg sei uns zunächst vorgegeben. 

Zu Gast auf dem Podium des Kirchberger Dialogs waren Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sowie Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland. Moderator Matthias Berg, Jurist und Musiker, fragte beide, was sie brauchen, um das Thema „New Leadership“ umzusetzen. Palmer berichtete von Feedbackrunden, die bei Sitzungen im Tübinger Rathaus eingerichtet worden seien, damit man nicht im Flur über das, was er gesagt habe, spreche, sondern im Anschluss an eine Sitzung direkt mit ihm austausche. Für ihn sei ein wichtiger Wert, offen miteinander zu sprechen. Vor allem sei das Team wichtig, denn das treibe mit ihm Veränderungen und Weiterentwicklungen an. Präses Anna-Nicole Heinrich berichtete vom hohen Engagement von Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen in Kirchen. Sie beobachte aber auch, dass sich nach vielen Jahren Einsatz bei einigen die intrinsische Motivation abschleife. Sie habe jedoch erfahren, und schilderte ein Beispiel, „in Gesprächen könne man das wieder rauskitzeln, was mal da war. Die Leute brennen, sie wollen sich verwirklichen.“ „Und gilt das auch für die Generation Z?“, fragte Moderator Berg. Diese wisse, dass sie nicht immer ihr Bestes geben müsse, um gewollt zu werden, erläuterte Präses Heinrich. Denn „die ab 1995 Geborenen finden ja auch einen anderen Job“, beschrieb sie die aktuelle Arbeitsmarktsituation.

Auf die Unterschiede von Generationen bezog sich Professorin Dr. Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen in ihrem Vortrag. Nach 75 Jahren Generationenforschung sei deutlich, dass Babyboomer, Gen X, Gen Y und auch Gen Z das Spiegelbild der Erziehung der jeweiligen Zeit seien. So bringen sie jeweils andere Erwartungen an den Arbeitsplatz mit. Wichtig sei, anzuerkennen, dass daraus eine lebensphasenorientierte Personalpolitik in den Unternehmen abgeleitet werden müsse. Drei Währungen seien heute besonders bedeutend: Sicherheit, womit ein gutes Gehalt gemeint ist, Zeit, denn sie hat sich zu einem knappen Gut entwickelt, und Sinnhaftigkeit, also die Nachvollziehbarkeit und nachhaltige Wirkung des Tuns. 

Die Führungskräfte nahmen viele Anregungen mit. Der kommende Kirchberger Dialog findet im Januar 2026 statt, wieder im Berneuchener Haus Kloster Kirchberg.