14. Dezember 2020

Wieviel Wissen tut uns gut?

3. Interprofessionelles Fachforum (2. Dezember 2020) der Pua-Fachstelle der Diakonie Württemberg in Kooperation mit dem Hospitalhof

Fast 100 Fachkräfte aus den verschiedenen schwangerschaftsbegleitenden Berufsgruppen haben am Fachforum „Schwangerschaft als Entscheidungsfall: Wieviel Wissen tut uns gut?“ teilgenommen, zu dem die Pua-Fachstelle im Diakonischen Werk Württemberg in Kooperation mit dem Hospitalhof Stuttgart eingeladen hat.

Schwangerschaftsberaterinnen, Hebammen, Ärztinnen, Trauerbegleiterinnen, VertreterInnen von Verbänden und Vereinen und am Thema Interessierte haben sich virtuell zu einer dreistündigen Veranstaltung zusammengefunden, die sich mit nicht invasiven Pränataltests (NIPT) auf Trisomien und ihren konfliktreichen Folgen beschäftigt hat: Konfliktreich für die werdenden Eltern wie für die Berufsgruppen, die sie begleiten, und letztlich auch für uns als Gesellschaft, die als Solidargemeinschaft der Versicherten voraussichtlich ab nächstem Frühjahr die Kosten für diese Tests übernehmen werden.

Claudia Heinkel

„Diese unerwartet hohe Zahl von Interessentinnen an diesem digitalen Fachforum zeigt, wie sehr die verschiedenen Professionen gerade dieses Thema beschäftigt und wie groß der Informationsbedarf dazu ist“, so Claudia Heinkel, Leiterin der Pua-Fachstelle im Diakonischen Werk Württemberg. Die mündlichen Nachfragen und die Fragen im Chat ließen erkennen, wie sehr der Test die Fachkräfte der verschiedenen Professionen umtreibt, wie sie nach seriösen, fachlich profunden Informationen lechzten.

Und dies haben die drei Mitwirkenden eingelöst: Sie haben ihre ausgewiesen hohe fachlich Expertise eingebracht und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer teilhaben lassen an ihrer jeweiligen Perspektive auf den Test, als Frauenärztin, als Pränataldiagnostiker und als Mutter einer Tochter mit Down Syndrom und Vertreterin eines Elternvereins.

Silke Koppermann

Silke Koppermann, niedergelassene Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Psychotherapeutin (TP) in Hamburg, hat die Teilnehmenden mitgenommen in ihre tägliche Arbeit mit Schwangeren.

Sie berichtete, wie sie mit den Schwangeren versucht zu klären, was ihnen Sicherheit und Gewissheit geben kann in dieser grundsätzlich ungewissen Lebensphase, und welche Bedürfnisse sich hinter dem Wunsch nach Tests und Diagnostik verbergen können. Und sie hat offen darüber gesprochen, wie sie täglich den Spagat meistert zwischen Selbstbestimmung der Schwangeren, die sie unbedingt respektiert, der Verpflichtung zur  ärztlichen Aufklärung der Schwangeren und der eigenen kritischen Haltung gegenüber selektiver Pränataldiagnostik und welche Bedeutung für sie ihr politisches Engagement im Netzwerk gegen Selektion durch PND hat.

Prof. Dr. Alexander Scharf

Prof. Dr. Alexander Scharf ist Pränataldiagnostiker in eigener Praxis in Mainz, engagiert in Forschung und Lehre und Präsident des Berufsverbands der niedergelassenen Pränataldaignostiker (bis Dezember 2020), und einer der Kritiker dieser beschlossenen Kassenleistung ist.

In einer detaillierten Powerpointpräsentation hat er die Grundlagen dieses Testes, seine Möglichkeiten und Grenzen erklärt und nachvollziehbar begründet, warum seiner Überzeugung nach mit diesem Test als Kassenleistung ein gesellschaftspolitisch und ethisch fataler Paradigmenwechsel einhergeht, was es mit dem „toxischen wording“ des G-BA auf sich hat und warum er es für geboten hält, sich mit anderen kritischen Organisationen, Verbänden und Einzelpersonen gegen diese Entwicklung zu stemmen.

Tina Sander

Tina Sander ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei mittendrin e.V. in Köln, einem Elternverein, den sie als Mutter einer Tochter mit Down-Syndrom mit gegründet hat. In ihrem Beitrag hat sie einerseits ihre Erlebnisse als Mutter einer Tochter mit Down-Syndrom offengelegt und das, was Eltern mit Kindern mit Down-Syndrom immer noch erleben, auch im Zeitalter der ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention. Zugleich hat sie in ihrer Rolle als Vertreterin eines Elternvereins den NIPT als Kassenleistung und die Begründungsmuster für dieses Angebot einer scharfen Kritik unterzogen. Ihr aufrüttelndes Fazit zum Schluss: „Wir leben unter sehr viel besseren Bedingungen als je zuvor in der Vergangenheit. (…) Und noch nie zuvor war es so einfach wie heute, ein Kind mit Trisomie 21, ein Kind wie meine Tochter, zu vermeiden.“

Monika Renninger

In einem kurzen Schlusswort diskutierte Claudia Heinkel die scheinbare Aufwertung von psychosozialer und medizinunabhängiger Beratung, die auch im Kontext dieses Tests zu beobachten sei. Sie formulierte ihr Unbehagen an diesem häufigen Verweis auf Beratung als einem letzten Anker: Beratung könne das nicht „wegberaten“, was die Gesellschaft versäume. In der Intimität des Beratungszimmers könne man keine ethischen Debatten führen, vor der sich die Gesellschaft wegducke. Sie stellte klar: Qualifizierte psychosoziale und medizinunabhängige Beratung ist unverzichtbar für Menschen in Konfliktsituationen, wie sie dieser Test auslösen kann und sie skizziert die Herausforderungen für die Schwangerschaftskonfliktberatung durch diesen Test.

Sie schloss mit einem Dank an die Teilnehmerinnen für ihr Interesse und dass sie bis zum Schluss dabeigeblieben seien, an die Mitwirkenden für ihre Vorträge - es sei „ein Vergnügen gewesen, sie zu hören“ - und an Monika Renninger, Leiterin des Hospitalhofs Stuttgart, als geduldige und sachkundige technische Moderatorin, die die Entscheidung für ein digitales Format überhaupt erst ermöglicht habe.

Ursprünglich als eine ganztägige Präsenzveranstaltung im Hospitalhof Stuttgart geplant, haben die beiden Veranstalterinnen coronabedingt kurzfristig umgeplant und dieses Fachforum – zeitlich verkürzt – als eine digitale Veranstaltung angeboten. Innerhalb weniger Tage hatten sich so viele Teilnehmerinnen aus ganz Deutschland zu dieser digitalen Veranstaltung angemeldet, dass sie technisch bedingt einigen Interessentinnen absagen mussten

Mehr Informationen zur Pua-Fachstelle

Vorträge des Fachforums

  • Claudia Heinkel: Begrüßung und Einführung

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  • Silke Koppermann: Was wollen Schwangere wissen?

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  • Prof. Dr. Alexander Scharf: NIPT

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  • Tina Sander: Die Vermeidbaren

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  • Claudia Heinkel: Schlusswort

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