Migration – Kinder- und Jugendhilfe – Inklusion – Pflege – Armut und Langzeitsarbeitslosigkeit
Migration
Ausgangslage
Die Integration der Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren in Deutschland Schutz gesucht haben, stellt die Politik, die Verwaltung sowie die Wohlfahrtsverbände vor große Aufgaben. Das hohe ehrenamtliche Engagement für geflüchtete Menschen hat in den vergangenen Jahren viele gute Ansätze zur Partizipation eröffnet. Doch eine Asylpolitik, die zunehmend auf demonstrative Härte und pauschale Restriktionen setzt, gefährdet dieses wertvolle zivilgesellschaftliche Engagement und setzt Zeichen, die für eine fremdenfeindliche und rechtspopulistische Agenda missbraucht werden können. Der anhaltende Migrationsdruck aus vielen Teilen der Welt und die EU-Binnenwanderung erfordern politische Konzepte, u.a. auch in der Formulierung eines Einwanderungsgesetzes.
Forderungen
Die Politik muss Rahmenbedingungen für Schutz und Teilhabe geflüchteter Menschen schaffen. Es bedarf fairer, rechtsstaatlicher und zügiger Asylverfahren sowie Strukturen, die ein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Leben ermöglichen. Eine menschenwürdige und frühestmögliche dezentrale Unterbringung soll die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fördern. Für besonders schutzbedürftige Gruppen wie traumatisierte Flüchtlinge, alleinreisende Frauen, kranke und alte Menschen sowie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müssen besondere Unterstützungsangebote vorgehalten werden. Geflüchteten Menschen mit einem Schutzstatus oder guter Bleibeperspektive muss der Nachzug von Familienangehö- rigen rechtlich wie materiell ermöglicht werden. Allen Flüchtlingen – unabhängig von einer zugeschriebenen statistischen Bleibewahrscheinlichkeit – soll der Zugang zu qualifizierten Sprachkursen, zu Arbeit und Ausbildung ermöglicht werden. Das zivilgesellschaftliche Engagement braucht Würdigung und nachhaltige Begleitung. Ein Klima des Miteinanders erfordert eine Politik, die den Schutz der Geflüchteten im Sinne des Grundgesetzes sicherstellt und einer Spaltung der Gesellschaft entgegenwirkt. Im Sinne der Subsidiarität sind Dienste der freien Wohlfahrtspflege bei der Entwicklung und Gestaltung von Maßnahmen zur Integration zu beteiligen und zu beauftragen. Weiterhin bleiben die Gestaltung eines Einwanderungsgesetzes, legale Arbeitsmigration, die Vermeidung von Illegalität oder Ausbeutung sowie ein verstärkter Einsatz, um Fluchtursachen entgegenzuwirken, vordringliche politische Aufgaben. Die Politik hierzulande ist aufgefordert, eine gemeinsame europäische Haltung voranzutreiben, die am Schutz von an Leib und Leben bedrohter Menschen ausgerichtet ist.
Reform SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe
Ausgangslage
Nach mehreren gescheiterten ersten Anläufen seit Sommer 2016 hat das Bundeskabinett im April 2017 überraschend einen neuen, völlig abgespeckten Entwurf der Reform des SGB VIII beschlossen, der noch in der laufenden Legislaturperiode beschlossen werden soll. Der Entwurf enthält Verbesserungen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und die Stärkung von Pflegefamilien, den Ausbau von Eingriffsrechten zum Schutz von Kindern und Ländervorbehalte für Leistungen an junge Geflüchtete.
Forderungen
Die Diakonie in Baden und Württemberg fordert von der neuen Bundesregierung eine bedarfsgerechte, sozialräumliche und inklusive Gestaltung der Kinder- und Jugendhilfe. Auch Eltern haben ein Recht auf Unterstützung durch Stärkung ihrer Erziehungskompetenz und Schaffung einer familienunterstützenden und kinderfreundlichen Umwelt. Die Reform des SGB VIII muss vor allem drei Kriterien erfüllen: Bedarfsgerecht: Leistungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe müssen die Vielfalt menschlichen Lebens und die Diversität von Bedarfslagen berücksichtigen. Dieser Grundsatz ermöglicht es unter Beachtung der individuellen Rechtsansprüche auf Bedarfe junger Menschen einzugehen und passgenaue sowie refinanzierte Angebote zu realisieren. Sozialräumlich: Sozialräume als Orte für das Zusammenwirken und die partnerschaftliche Zusammenarbeit der dort lebenden Menschen, der Ehrenamtlichen und der professionellen sozialen Arbeit sind mit eigenen Leistungen und Ressourcen auszustatten. Diese Angebote sind Grundlage für das wohnortnahe Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. Sie erweitern die Handlungsmöglichkeiten der Kinder- und Jugendhilfe und ergänzen das Recht auf individuelle Hilfen. Inklusiv: Die Leistungen und Angebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene müssen rechtskreisübergreifend und kooperativ an deren Bedarfen und Interessen ausgerichtet werden. Sie müssen junge Menschen bei der selbstbestimmten Gestaltung ihres Lebens unterstützen, ihre Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit fördern und Teilhabe statt Ausgrenzung ermöglichen.
Armut und Langzeitarbeitslosigkeit
Ausgangslage
Der fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt: Die Ungleichheit in Deutschland nimmt zu und die allgemeine Armutsrisikoquote steigt auf inzwischen 15,7 Prozent. Das Erschreckende sind einerseits die aktuellen Zahlen, andererseits vor allem die erkennbaren langfristigen Tendenzen: Unsere Gesellschaft driftet auseinander. Die gute wirtschaftliche Entwicklung und die positive Lage auf dem Arbeitsmarkt überlagern diesen Trend nur scheinbar. Hauptursache von Armut und Ausgrenzung ist die Arbeitslosigkeit. Im Vergleich der Altersgruppen sind Kinder und Jugendliche von Armut betroffen. Die Gefahr ist, dass sich dauerhafte Armutsbiographien entwickeln. Andererseits wächst das Armutsrisiko alter Menschen besonders stark an und liegt inzwischen ebenfalls über der allgemeinen Armutsrisikoquote.
Forderungen
Sozialpolitik braucht eine höhere Priorität. Der Sozialstaat muss wieder eine gestaltende Funktion in unserer Gesellschaft übernehmen: Er muss eine öffentlich geförderte Beschäftigung für die Menschen anbieten, denen eine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt versagt bleibt. Der Passiv-Aktiv-Transfer ist eine haushaltstechnische Möglichkeit, dieses Instrument ohne übermäßigen Finanzierungsaufwand umzusetzen. Der Sozialstaat muss Bildung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen entwickeln, damit die Armut der Eltern nicht zu einem lebenslangen Armutsrisiko der Kinder wird. Der Sozialstaat muss die gesetzliche Rente zu einer den Lebensstandard sichernden Alterssicherung entwickeln.
Inklusion
Ausgangslage
Bundesregierung und Bundestag haben den Auftrag der UNBehindertenrechtskonvention angenommen. Dafür haben sie in der ablaufenden Legislaturperiode verschiedene Anstrengungen unternommen. Im Mittelpunkt stand und steht das Bundesteilhabegesetz (BTHG), das nach einem umfassenden Beteiligungsprozess zum 1.1.2017 in Kraft getreten ist. Das BTHG zielt im Wesentlichen darauf ab, die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln, ihre Selbstbestimmung zu fördern und Grundlagen für eine inklusive Gesellschaft zu legen. Der „Teilhabebericht 2016 der Bundesregierung über die Lebenslagen der Menschen mit Beeinträchtigungen“ macht deutlich, dass die Ursachen für verminderte Teilhabechancen im Erwachsenenalter vielfach in der familiären Ausgangssituation, aber auch in verminderten Zugängen zu den Systemen der Erziehung, Bildung und Ausbildung zu suchen sind. Wir bedauern deshalb, dass die „große“ oder „inklusive Lösung SGB VIII“ nicht mehr gelungen ist.
Forderungen
Die Zielsetzungen des BTHG dürfen keine Leerformeln bleiben. Aufgrund des beschleunigten Gesetzgebungsverfahrens enthält das komplizierte Artikelgesetz einige Unzulänglichkeiten, die sich erst im Laufe der sukzessiven Umsetzung auftun werden. Wir begrüßen die gesetzlich vorgesehenen Modellvorhaben und Evaluationen und verknüpfen diese mit der Erwartung, dass das Monitoring des gesamten BTHG in einem transparenten und ergebnisoffenen Prozess mit allen wesentlichen Akteuren stattfindet. Bei Bedarf sind gesetzgeberischen Korrekturen in der nächsten Legislaturperiode herbeizuführen. Besonders zu berücksichtigen sind dabei die schwerstmehrfachbeeinträchtigen Menschen. Je schwerer die Beeinträchtigungen, desto geringer sind die Teilhabechancen. Menschen mit umfassenden, systemübergreifenden Teilhabebedarfen dürfen nicht zu Verlierern dieser Reform werden.
Pflege
Ausgangslage
Die große und ständig zunehmende Zahl pflegebedürftiger Menschen bleibt eine große Herausforderung in den nächsten Jahren. Deswegen muss die zukünftige Bundesregierung notwendige Reformvorhaben konsequent angehen und umsetzen. In den vergangenen Jahren wurde eine Reform der Pflegeversicherung (PSG II und PSG III) angestoßen, deren Effekte noch nicht absehbar sind. Leistungsansprüche der Menschen, die zuhause versorgt werden, wurden ausgeweitet. Nennenswerte Verbesserungen für die Betroffenen in Pflegeheimen wurden jedoch nicht realisiert. Dies führt zu einer Verfestigung der ungleichen Bedingungen für Menschen, die stationär oder ambulant versorgt werden.
Forderungen
Die soziale Pflegeversicherung muss reformiert werden mit dem Ziel, für alle Versorgungsformen (ambulant, teilstationär, stationär) ausreichende finanzielle Grundlagen zu schaffen, die eine bedürfnisgerechte Versorgung für alle ermöglicht. Dies gilt besonders für die stationäre pflegerische Versorgung. Informations- und Beratungsstrukturen müssen ausgebaut werden. Hier ist der Gesetzgeber aufgefordert, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass ortsnahe und leicht zugängliche Informations- und Beratungsangebote rund um das Thema Pflege und Versorgung entstehen können. Dabei müssen die Kranken- und Pflegekassen zwingend zur Beteiligung an regionalen und lokalen Netzwerken verpflichtet werden. Formale Hürden in der Versorgung kranker und pflegebedürftiger Menschen, die sich vor allem aus den unterschiedlichen und wenig aufeinander abgestimmten Sozialgesetzbüchern V (gesetzliche KV) und XI (soziale PV) ergeben, müssen beseitigt werden.