30. September 2015

Am Arbeitsmarkt finden nur noch Mikroprozesse statt

Langzeitarbeitslose bleiben immer länger arbeitslos

Zumeldung zur Meldung der Agentur für Arbeit zu den Arbeitslosenzahlen im September 2015

Stuttgart, 30. September 2015. Heute hat die Agentur für Arbeit die aktuellen Arbeitslosenzahlen bekannt gegeben und die positive Arbeitslosenquote gegenüber anderen Bundesländern unterstrichen. Wir lenken den Blick auf Zahlen, die die Probleme des Arbeitsmarkts in Baden-Württemberg zeigen: 
Die Zahl der Arbeitslosen ist um 3,5 % zurückgegangen. Allerdings ist ihr Anteil an der Erwerbsbevölkerung nur um 0,1 % gesunken. Diese Verbesserung ist als ein Mikroprozess zu bezeichnen. Die Situation der am Arbeitsmarkt Benachteiligten wird dabei tendenziell immer schlechter. Die positiven Bewegungen am Arbeitsmarkt wirken sich – im Guten wie im Schlechten - praktisch nur noch in der Arbeitslosenversicherung des SGB III und bei Kurzzeitarbeitslosen aus, während sie sich im SGB II und erst recht bei der Langzeitarbeitslosigkeit kaum noch niederschlagen. Der Anteil der Hartz-IV-Empfänger, vor allem unter den Langzeitarbeitslosen, steigt langfristig an und die Dauer der Langzeitarbeitslosigkeit nimmt tendenziell ständig zu.

• Der relative Anteil der Hartz-IV-Bezieher (SGB II) ist gegenüber dem Vormonat auf 57,8 % gestiegen. Die absolute Zahl der SGB-II-Arbeitslosen beträgt jetzt 130.486, sie ist im September zwar um 1.284 Personen oder 1,0 % gesunken, gegenüber dem Vorjahresmonat aber um 417 Personen oder 0,3 % gestiegen. Demgegenüber ist die Zahl der Arbeitslosen im SGB III im September um 6.938 Personen oder 6,8 % sehr viel deutlicher gesunken, gegenüber dem Vorjahresmonat waren es sogar 9.148 Personen oder 8,7 % weniger.
• Betroffen von Langzeitarbeitslosigkeit sind vor allem Arbeitslosengeld-II-Bezieher, sie sind an der Arbeitslosigkeit mit 57,8 %, an der Langzeitarbeitslosigkeit aber sogar mit 83,3 % beteiligt.
• Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit beträgt für SGB-II-Arbeitslose 574 Tage – 10 Tage mehr als im Vormonat und 17 Tage mehr gegenüber dem Vorjahresmonat. Demgegenüber beträgt die Dauer der Arbeitslosigkeit im SGB III nur durchschnittlich 185 Tage. 
• Der Bericht der Arbeitsagentur weist aus, dass zwar im Juli 72.158 Personen ihre Arbeitslosigkeit beendeten, dabei konnten aber nur 24.361 Personen aus der Arbeitslosigkeit in eine Erwerbstätigkeit übergehen.
• Nur 19,4 % derjenigen, die aus dem SGB II heraus ihre Arbeitslosigkeit beendeten, konnten auch eine Erwerbstätigkeit beginnen; von den SGB-III-Empfänger, die aus der Arbeitslosigkeit abgingen, waren das immerhin knapp 44 %.

Die Bundesagentur meldet für Baden-Württemberg einen Stand von knapp 4,4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und eine Zunahme von 97.600 gegenüber dem Vorjahr. Verglichen damit ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit um 8.731 als enttäuschend zu werten, nicht mehr als ein Mikroprozess. Abgesehen davon muss auch darauf hingewiesen werden, dass von den insgesamt 5,9 Millionen Beschäftigten 1,5 Millionen Menschen oder über 25 % aller Beschäftigten nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.

Fachwissenschaftler weisen inzwischen darauf hin, dass das Leitbild des Forderns und der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik gegen das einer befähigenden Arbeitsmarktpolitik getauscht werden muss, die mehr auf Teilhabe als auf Vermittlung in Arbeit ausgerichtet ist (s.u.). Es zeigt sich immer deutlicher, dass Langzeitarbeitslose und ihre Familien ohne öffentlich geförderte Beschäftigung keine Chance mehr zur Teilhabe und zur Integration in Arbeit bekommen. Die Diakonie fordert dies seit langem und hat mit dem Passiv-Aktiv-Transfers ein realistisches Finanzierungskonzept vorgelegt, während die Bundesregierung trotz positiver wirtschaftlicher Rahmenbedingungen die Möglichkeit zu Handeln verpasst.

Weitere Hinweise unter:
http://www.initiative-pro-arbeit.de/   
http://www.o-ton-arbeitsmarkt.de/   


Hinweis:

Fachvortrag im Rahmen der Mitgliederversammlung des Fachverbandes Arbeitslosenhilfe im Diakonischen Werk Württemberg:

Befähigen statt aktivieren „Aktueller Reformbedarf bei Zielsetzung  und Aufgabenstellung im SGB II“
 
mit Prof. Claus Reis,
Frankfurt University of Applied Sciences
am 21. Oktober 2015
im Haus der Katholischen Kirche, Veronika-Saal
Königstr. 7, 70173 Stuttgart


Die Diakonie in Württemberg hat eine neue Handreichung „Langzeitarbeitslose Menschen integrieren. Ausgrenzung überwinden“ herausgegeben. Sie wurde an alle rund 1.300 Kirchengemeinden in der Landeskirche verschickt und will Aufmerksamkeit und Engagement für langzeitarbeitslose Menschen wecken.