Das Gefühl etwas wert zu sein
Sulzer Nähwerkstatt ermöglicht Flüchtlingen Teilhabe an der Gesellschaft
Sulz am Neckar/Stuttgart, 9. März 2017. Mohamed Hamo war Schneider, bevor er aus Syrien nach Deutschland flüchten musste. Jetzt kann er seinen Beruf wieder ausüben. Die evangelische Kirchengemeinde Sulz-Holzhausen hat eine Nähwerkstatt für Flüchtlinge eingerichtet. Am Mittwoch wurde sie eröffnet. Der Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Dr. h. c. Frank Otfried July, und der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, waren beim Start dabei und überreichten einen Zuschuss für die Arbeit.
„Menschen, die sonst am Rand stehen, werden hier in die Mitte gestellt“, würdigte der Landesbischof das Sulzer Projekt. Die Nähwerkstatt ermögliche Flüchtlingen, an der Gesellschaft teilzuhaben. July appellierte an Politik und Verwaltung, geflüchteten Menschen „frühzeitig den Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Ausbildung zu ermöglichen“. Er kritisierte, dass Flüchtlinge aus so genannten sicheren Herkunftsländern künftig unbefristet in Erstaufnahmestellen bleiben sollten. Das dort geltende Beschäftigungsverbot schließe sie von der gesellschaftlichen Teilhabe aus. Arbeit gebe geflüchteten Menschen „das Gefühl, etwas wert zu sein“ und zeige der einheimischen Bevölkerung: „Die können etwas“, so der Bischof.
Oberkirchenrat Dieter Kaufmann betonte, die Hilfe für Flüchtlinge müsse den einzelnen Menschen im Blick haben. „Wir müssen das Unsere dazu beitragen, dass niemand mit einer betrübten Seele leben muss“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks in Anlehnung an ein Psalmwort der Bibel. Die Evangelischen Landeskirche in Württemberg fördere die Integration von Flüchtlingen, so Kaufmann. So habe die Kirche zahlreiche Stellen für Koordinatoren in der Flüchtlingsarbeit geschaffen. Zudem unterstütze sie mit einem Fonds Integrationsprojekte – auch die Sulzer Nähwerkstatt: Bischof July und Oberkirchenrat Kaufmann überreichten der Werkstatt einen Scheck in Höhe von 2.000 Euro.
Die Nähwerkstatt liegt unweit des Sulzer Markplatzes in einem ehemaligen Ladengeschäft, das die Kirchengemeinde angemietet hat, berichtete der Dekan des Kirchenbezirkes Sulz, Ulrich Vallon. Die Idee zur Werkstatt sei zusammen mit den Flüchtlingen entwickelt worden. „Es war kein Projekt von oben“, so der Dekan. Die Ausstattung sei mit Mitteln aus verschiedenen Fördertöpfen finanziert worden. Daneben gab es Spenden, auch Sachspenden wie etwa Stoffe. Vallon wünschte der Nähwerkstatt, dass sie ein „Begegnungsort“ für Flüchtlinge und Einheimische werde.
Michael Widmann, Koordinator für die Flüchtlingsarbeit in der Diakonischen Bezirksstelle Sulz, hat das Konzept für die Nähwerkstatt gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern und den Flüchtlingen entwickelt. Neben Mohamed Hamo arbeiten Jamin Olokodana aus Nigeria und Hasan Kasem aus Syrien in der Werkstatt. Ihre Spezialität sind verschiedene Taschen, darunter auch ausgefallene Designs wie Handtaschen aus Jeanshosen. Geplant sind auch Nähkurse: ein Einführungskurs für Näh-Anfänger, ein Kurs, der zum Nähen von Kinderkleidung anleitet, und ein Nähkurs für Männer. Zudem ändern die drei Schneider bei Bedarf Kleidungsstücke aus dem Kleiderladen der Diakonischen Bezirksstelle. Auch auf den Märkten der Region werden Hamo, Olokodana und Kasem unterwegs sein und ihre Produkte anbieten. Langfristiges Ziel, so Widmann, sei es, die Schneider der Nähwerkstatt in reguläre Arbeitsverhältnisse zu bringen.
„Man kann mit Stolz auf diese Nähwerkstatt blicken“, lobte der Sozialdezernent des Landkreises Rottweil, Bernd Hamann, das Projekt. Es sei ein imponierendes Beispiel für ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingsarbeit. Die stellvertretende Sulzer Bürgermeisterin Cornelia Bitzer-Hildebrandt sagte, die Nähwerkstatt schlage eine Brücke zwischen den Flüchtlingen und den Bürgern. Zudem knüpfe das Projekt an die Sulzer Geschichte an, wusste Bitzer-Hildebrandt. Bis 1963 hat eine „Bundweberei“ in der Neckarstadt Baumwollstoffe hergestellt. Einige Tücher aus der alten Fertigung übergab die stellvertretende Bürgermeisterin an Mohamed Hamo.
Landesbischof July und Oberkirchenrat Kaufmann hatten neben dem Scheck noch ein weiteres Geschenk im Gepäck: Ein großes Transparent des Diakonischen Werks, gefertigt aus LKW-Plane – Stoff für mehrere Handtaschen.
Hinweis für die Redaktionen: Gleichlautende Pressemitteilung versendet heute auch die Pressestelle der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Das Diakonische Werk Württemberg
Das Diakonische Werk Württemberg mit Sitz in Stuttgart ist ein selbstständiges Werk und der soziale Dienst der Evangelischen Landeskirche und der Freikirchen. Auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes unterstützt der Wohlfahrtsverband im Auftrag des Staates hilfebedürftige Menschen. Das griechische Wort „Diakonia“ bedeutet „Dienst“. Die Diakonie in Württemberg ist ein Dachverband für 1.200 Einrichtungen mit 40.000 hauptamtlichen und 35.000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie begleiten Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen mit Behinderungen, alte und pflegebedürftige Menschen, Arbeitslose, Wohnungslose, Überschuldete und andere Arme, Suchtkranke, Migranten und Flüchtlinge sowie Mädchen und Frauen in Not. Täglich erreicht die württembergische Diakonie über 200.000 Menschen. Das Diakonische Werk Württemberg ist ebenfalls Landesstelle der Internationalen Diakonie, Brot für die Welt, Diakonie Katastrophenhilfe und Hoffnung für Osteuropa.