NIPT: Umstrittener Bluttest nun als Kassenleistung verfügbar
Seit Juli 2022 können Schwangere den nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21 über ihre Krankenkassen abrechnen lassen. Das Deutsche Ärzteblatt betitelt diesen Schritt als „neue Ära“. Der Bluttest ist jedoch gesellschaftlich und ethisch umstritten.
Stuttgart. Im Bewertungsausschuss haben sich die Ärzteschaft und Krankenkassen auf eine Abrechnungsziffer für den nicht-invasiven Pränataltest und die damit zusammenhängende ärztliche Beratung geeinigt. Somit können Schwangere ab 1. Juli 2022 den Bluttest sowie bis zu 20 Minuten Beratung im Vorfeld des Tests und maximal 40 Minuten nach einem auffälligen Testergebnis über ihre Krankenkassen abrechnen lassen. Angesichts der existentiellen Entscheidungskonflikte, in die das Testergebnis führen kann, ist es fraglich, ob Schwangere in diesen Zeitfenstern ausreichend beraten werden können. Die Untersuchung steht grundsätzlich jeder Schwangeren zur Verfügung, denn als Indikation reicht die individuelle Besorgnis aus, ein Kind mit einer Trisomie zu bekommen. Dies betitelt das Deutsche Ärzteblatt als Anbruch einer neuen Ära, da das subjektive Erleben innerhalb der pränataldiagnostischen Untersuchungen bislang nicht als Risikokonstellation anerkannt war (https://www.aerzteblatt.de/archiv/225841).
Der NIPT ist ein Bluttest und kann bereits ab der 10. Schwangerschaftswoche erkennen, ob das werdende Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit Träger einer genetischen Variante ist. Neben dem sogenannten Down-Syndrom (Trisomie 21) und den beiden Trisomien 13 und 18, auf die sich der aktuelle Beschluss bezieht, kann der NIPT bereits heute nach vielen anderen genetischen Varianten suchen. Weitere Kassenzulassungen sind daher zu erwarten. Auf dem deutschen Markt wird der Test bereits seit 2012 als individuelle Gesundheitsleistung für Selbstzahler angeboten. Die Möglichkeit, den Test ab Juli abrechnen zu lassen, ist das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses. Denn bereits im September 2019 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Entscheidungsgremium im deutschen Gesundheitswesen, den Beschluss zur Kassenfinanzierung getroffen. Die Prüfung fand unter medizinisch-technischer Perspektive statt. Eine ethisch-gesellschaftliche Bewertung blieb auf politischer Ebene weitestgehend aus. Der Bundestag beschäftigte sich lediglich in einer Orientierungsdebatte 2019 mit dem Thema. Bedauerlicherweise ist auch in Zukunft kein Diskurs zu erwarten, nachdem die Themen Pränataldiagnostik und NIPT im aktuellen Koalitionsvertrag gänzlich unerwähnt bleiben.
Die Kassenfinanzierung des NIPT ist gesellschaftlich umstritten. Befürworterinnen und Befürworter sehen in diesem Beschluss einen wichtigen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit und reproduktiver Selbstbestimmung. Kritikerinnen und Kritiker weisen hingegen darauf hin, dass der NIPT keinen medizinischen Nutzen hat, dass er nichts heilen kann und dass falschpositive Ergebnisse auftreten können. Zudem wird befürchtet, dass die Finanzierung durch die Solidargemeinschaft den sozialen Erwartungsdruck auf werdende Eltern verstärkt, diesen Test auch zu nutzen. Außerdem scheint mit der Kostenübernahme die fatale Botschaft verbunden, dass ein Kind mit Down-Syndrom ein vermeidbares und daher zu vermeidendes Risiko sei.
Die kritischen Haltung vertritt auch das Diakonische Werk Württemberg (DWW). Gemeinsam mit weiteren Verbänden und Organisationen wurde unter anderem ein gemeinsames Positionspapier gegen die Kassenfinanzierung verfasst. Darüber hinaus wurde in verschiedenen Veranstaltungen der PUA-Fachstelle des DWW über die Spannungsfelder aufgeklärt und diskutiert. Zuletzt stieß eine digitale Veranstaltung im Mai 2022 auf breite öffentliche Resonanz. Gleichzeitig wird gemeinsam mit den diakonischen Schwangerenberatungsstellen eine fachkundige psychosoziale Beratung von werdenden Eltern im Bereich Pränataldiagnostik angeboten.
Wenngleich das Engagement des DWW und anderer die Kassenfinanzierung nicht verhindern konnte, ist es umso wichtiger die Gesellschaft auch weiterhin für die Tragweite eines solchen Beschlusses zu sensibilisieren, der ethische Fragestellungen am Lebensanfang berührt.
Die Position des DWW und weitere Informationen sind hier zu finden.